Anton Zeilinger wurde 2022 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Er teilte sich den Preis mit Alain Aspect und John Clauser. Der Nobelpreisträger Anton Zeilinger sieht Gott als Möglichkeit.
In Interviews wird er immer wieder gefragt, was die Realität ist und welchen Platz Gott in ihr haben könnte.
Keine reine Wissenschaftsgläubigkeit sondern Raum für Glauben
Könnte man Gott eines Tages im Labor, „bei Forschungen“ nachweisen? Auf diese Frage antwortete Anton Zeilinger:
„Den lieben Gott kann man nicht [durch Forschungen] entdecken. Das ist eine Frage des Glaubens und nicht des Wissens. Ich kenne ein paar Leute, besonders aus konservativen kirchlichen Kreisen, die meinen, man könnte Gott nachweisen. Das wäre aber das Ende der Religion. Dann wäre das In-die-Kirche-Gehen nicht mehr eine Frage des Glaubens, sondern des beinharten Kalküls.“ (Anton Zeilinger, Profil 09.08.12)
Es könnte sein, dass Anton Zeilinger hier Glauben gegen Denken ausspielt. Das wäre schade, denn Glauben und Denken gehören zusammen. Andererseits könnte es ihm darum gehen, dass der persönliche Glaube sich nicht allein durch Rechnungen ergibt, sondern Vertrauen benötigt. Es stimmt, dass wir Gott nicht im Reagenzglas nachweisen können – trotzdem gibt es gute Gründe, ihm zu vertrauen.
Kein reiner Materialismus sondern Information
Materialismus reicht nicht, um die Welt zu beschreiben. Für Anton Zeilinger spielt Information eine wichtige Rolle. Er sieht sie als einen Grundstoff der Realität:
„Es ist offenbar so …, dass Information oder Wissen, wie immer man das nennt, ein Grundstoff des Universums ist. Also eine sehr abstrakte Sache ist offenbar irgendwo in den Fundamenten der Welt da und eingebaut.“ (Anton Zeilinger im Gespräch mit Renata Schmidtkunz, 11.10.2001)
„Ein rein materialistisches Weltbild, kann auf die Dauer nicht funktionieren. Da gibt es mehr. Wir sind nicht nur Materie. Wir sind nicht nur Substanz.“ (Anton Zeilinger im Gespräch mit Renata Schmidtkunz, 11.10.2001)
Kein unerbittlicher Mechanismus sondern Zufall
Die Welt ist nicht einfach eine mechanische Maschine mit determinierten Abläufen.
Als Beispiel nennt Anton Zeilinger neue Ideen:
„Eine wirklich neue Idee ist etwas, das davor nicht da war. … Es ist nicht alles, was heute in der Welt geschieht, durch das bestimmt, was gestern der Fall war. … Die Naturgesetze, da kann ich was entdecken, da kann ich etwas finden. Aber das heißt nicht, dass zum Beispiel auch eine konkrete Idee, jetzt aus dem determiniert sein muss, was vorher da war.“ (Anton Zeilinger im Gespräch mit Renata Schmidtkunz, 11.10.2001)
Anton Zeilinger sieht in quantenphysikalischen Einzelereignissen den Zufall am Werk. Zufall als wesentliche Eigenschaft der Welt kann aber für ihn positiv gesehen werden:
„Man kann es aber auch sehr positiv sehen, man kann sagen: Die Welt läuft eben nicht ab wie ein Uhrwerk, sie läuft nicht ab so wie die Planetenbewegungen, wo ich genau weiß, in 500.000 Jahren, welcher Planet wo stehen wird, nicht? Sondern ich weiß einfach nicht, wie die Welt in fünf Minuten beschaffen sein wird. Das find ich spannend.“ (Anton Zeilinger im Gespräch mit Renata Schmidtkunz, 11.10.2001)
Hier sieht Anton Zeilinger auch ein Einfallstor für Freiheit:
„Wenn die Welt vollkommen determiniert wäre, wenn ich vollkommen durch Naturgesetze determiniert, vorbestimmt wäre, in dem was ich mache, dann könnte ich ja keine Experimente mehr machen. Ein Experiment geht davon aus, dass ich an die Natur eine Frage stellen kann und dass ich frei darin bin, welche Frage ich stellen kann. Wenn ich determiniert wäre, dann könnte ich keine Frage an die Natur stellen. Und dann wäre eigentlich jede Naturwissenschaft auch am Ende. Wenn wir heute beweisen könnten: die Welt ist deterministisch, dann wäre das das Ende der Wissenschaften, das Ende von wirklich tiefen Fragestellungen, weil meine Frage ist ja dann auch determiniert. Und das heißt, ich verhalte mich wie ein Automat, ich finde nichts wirklich heraus.“ (Anton Zeilinger im Gespräch mit Renata Schmidtkunz, 11.10.2001)
Kein Atheismus, sondern Gott als Möglichkeit
Das Erleben von Sinn und Bestimmung
Anton Zeilinger weist darauf hin, dass Menschen Zufälle oft als „Bestimmung“ ansehen. Hier spricht er aber nicht mehr als Naturwissenschaftler:
„Der Zufall öffnet sehr große Möglichkeiten. Und es ist die Frage natürlich offen, ob es für diesen Zufall nicht doch eine andere Basis gibt. … Viele Menschen erleben das in ihrem Leben, dass Zufälle oft so etwas an sich haben, das ausschaut, als ob das eine Bestimmung wäre. Und jetzt rede ich nicht mehr als Naturwissenschaftler, sondern in meiner persönlichen Ansicht. Und ich glaub schon, dass es da etwas gibt. Der Zufall eröffnet für mich eine der Möglichkeiten dafür, dass es einen Gott gibt. Das ist völlig klar. Das folgt aber nicht zwingend daraus, das ist eine der möglichen Ansichten.“ (Anton Zeilinger im Gespräch mit Renata Schmidtkunz, 11.10.2001)
Indeterminismus als Einfallstor für Gott
Neben dem persönlichen Empfinden von Sinn führt Anton Zeilinger auch die Ergebnisse seine Wissenschaft als „Einfallstore“ für Gott an:
„Diese Dinge können nie die Existenz eines Gottes beweisen. Aber sie eröffnen Tore, wo es möglich wäre, einen Gott in die Welt zu bringen, der auch heute aktiv ist, der nicht nur das ‚Werkl‘, vor … Milliarden Jahren in Schwung gesetzt hat, sondern der auch heute noch in die Welt eingreift. Diese Möglichkeit ist da. Und ich persönlich glaube, dass es einen solchen Gott gibt. Nicht in jeder einzelnen Situation, so einfach kann man es sich auch wieder nicht machen, dass man sagt: jedes einzelne dieser unerklärten Dinge, auch in der Physik, ist eine Intervention eines persönlichen Gottes, aber ich persönlich glaube, dass es so einen persönlichen Gott gibt. Ob das jetzt unbedingt nur der christliche Gott sein kann oder auch ein Gott einer anderen Religion, das ist eine Frage, die auch eine soziologische Frage ist und das ist für mich eigentlich schon nicht mehr von so zentraler Bedeutung.“ (Anton Zeilinger im Gespräch mit Renata Schmidtkunz, 11.10.2001)
Viele Gläubige würden Anton Zeilinger davon berichten, dass es für sie ein wichtige Frage ist, an welchen Gott sie glauben. Der Jesus-Gott ist in vielen Bereichen einzigartig. Allerdings sagt Anton Zeilinger bemerkenswert klar:
„… ich persönlich glaube, dass es so einen persönlichen Gott gibt.“ (Anton Zeilinger im Gespräch mit Renata Schmidtkunz, 11.10.2001)
Der Nobelpreisträger Anton Zeilinger sieht Gott als persönliche Möglichkeit.
Grundlegende Annahmen der Wissenschaft
Außerdem sieht er Gottes Rolle in grundlegenden Fragen, von deren Annahme Naturwissenschaften ausgehen:
Die Frage ist: Wo gibt es in den Naturwissenschaften eine Rolle für Gott, die nicht im Widerspruch zu den Naturgesetzen steht und nie stehen wird? Ich sehe sie dort, wo es grundsätzlich nichts Erklärbares gibt, etwa die Naturgesetze selbst, wie zum Beispiel die Schwerkraft. Denn warum gibt es Naturgesetze? Niemand weiß es, sie sind einfach da. … Das ist der Raum, den ich Gott geben kann, wenn ich ein gläubiger Mensch bin, weil er da nicht im Widerspruch zu den Naturwissenschaften steht. Aber das ist eine persönliche Entscheidung. (Anton Zeilinger, Profil 09.08.12)
Geht es also wieder um den Lückenbüßer-Gott? Muss Gott als Erklärung dienen, weil wir derzeit die Antwort noch nicht kennen? Nein, Anton Zeilinger sieht hier prinzipielle Grenzen der Wissenschaft:
„Es geht hier um Dinge, die man nie wissen wird. An Gott zu glauben oder nicht ist für einen Naturwissenschafter genauso eine persönliche Frage wie für einen Laien. (Anton Zeilinger, Profil 09.08.12)
Naturwissenschaft kann Naturgesetze formulieren – aber sie kann nicht erklären, woher sie kommen, warum sie gelten, warum sie so sind, wie sie sind. Jenseits der Erklärungsgrenzen der Naturwissenschaft sieht Anton Zeilinger neben den Naturgesetzen auch das Leben:
Allein dass die Naturgesetze einschließlich der Evolutionsgesetze so funktionieren, dass es so etwas wie Leben gibt, ist fantastisch. Das steht außerhalb der wissenschaftlichen Erklärbarkeit. (Anton Zeilinger, Profil 09.08.12)
Gefragt, ob das alles nicht einfach Zufall sein kann, fragt Anton Zeilinger zurück:
… Warum ist die Welt so, dass der Zufall so etwas produzieren kann. Wenn etwa das Plancksche Wirkungsquantum viel kleiner oder größer wäre, dann gäbe es nicht annähernd die Möglichkeit, dass es Atome gibt. Und damit uns. (Anton Zeilinger, Profil 09.08.12)
Warum ist die Welt so lebensfreundlich? Neben Zufall und Notwendigkeit könnte auch die Absicht Gottes dahinter stecken.
Der Nobelpreisträger Anton Zeilinger sieht Gott als Möglichkeit. Ein persönlicher Gott ist für seine Fragen eine gute Erklärung.
Quellen
Anton Zeilinger im Gespräch mit Renata Schmidtkunz (Sendung der Reihe „Im Gespräch“ vom 11.10.2001) https://oe1.orf.at/artikel/697484/Anton-Zeilinger-im-Gespraech-mit-Renata-Schmidtkunz (10.7.2023)
Den lieben Gott kann man nicht entdecken. Interview. Der Physiker Anton Zeilinger über Gott und die Welt der Naturwissenschaften (Profil 09.08.12),
https://www.profil.at/home/anton-zeilinger-den-gott-337248 (26.7.2023)