Damit sind Auslegungen der Bibel gemeint, die Vorherbestimmung und Souveränität Gottes betonen. Mark Talbot fasst seine reformierte Position so zusammen:
„I shall argue that God does not merely passively permit such things by standing by and not stopping them. Rather, he actively wills them by ordaining them and then bringing them about, yet without himself thereby becoming the author of sin. As the Reformers insisted, although God is not the author of sin, he is also no mere “idle spectator” to it.“ (Mark R. Talbot. „All the Good That Is Ours in Christ“: Seeing God’s Gracious Hand in the Hurts Others Do to Us. In: John Piper, Justin Taylor (Hg). Suffering and the Sovereignty of God. Crossway Books: Wheaton 2006. 31-77. Hier 35.)
John Piper drückt sie so aus:
„Ich glaube, das ganze Universum existiert um die Größe der Herrlichkeit der Gnade Gottes darzustellen. … Der ultimative Zweck des Universums ist, die Größe der Herrlichkeit der Gnade Gottes darzustellen. Die höchste, klarste, sicherste Darstellung dieser Herrlichkeit liegt im Leiden der besten Person im Universum für Millionen von Sündern, die es nicht verdient haben. Daher liegt der ultimative Grund für die Existenz des Leides im Universum darin, dass Christus die Größe der Herrlichkeit der Gnade Gottes darstellen kann, indem er in sich selbst leidet um unser Leid zu überwinden und Lob für die Herrlichkeit der Gnade Gottes erwirkt.“ (John Piper, The Suffering of Christ and the Sovereignty of God, In: ebda., 81-89, 81 und 89.)
Um diese Position zu begründen, werden folgende Befunde angeführt (vgl. im Folgenden Wayne Grudem: Biblische Dogmatik, VKW/Arche Medien. Bonn, Hamburg 2013, 357-369):
- Gott ist gut und gerecht (Genesis 18,25), er erlaubt das Böse nicht nur, sondern er bestimmt es auch. Er macht auch böse Menschen und Tage für seine Zwecke (Sprüche 16,4; Prediger 7,14). Er erhält und erschafft Böses (Hebräer 1,3; Epheser 1,11; Jesaja 46,10; Matthäus 10,29; Jesaja 45,7). Er schickt Böses (1.Samuel 16,14-23; Richter 9,23; 1.Könige 22,13-40; 2.Thessalonicher 2,11-12; Genesis19; Exodus 7-12; Numeri 21,6). Er erlaubt Böses (Hiob 1,5-12; Apostelgeschichte 14,16).
- Er nützt auch das Böse zu seiner Ehre (Exodus 9,13-16; Johannes 9,3) und dem Wohl der Christen (Hebräer 12,3-11; Jakobus 1,2-4) ohne es selbst zu tun oder dafür beschuldigt werden zu können.
- Gott richtet das Böse (Deuteronomium 32,35; Römerbrief 12,19; Psalm 94; Joel 4,12-14).
- Menschen sind verantwortlich, sie haben Entscheidungsfähigkeit (z.B. Deuteronomium 30,19; Josua 24,14f; Sprüche 1,29, Sprüche 16,16; Jesaja 56,4f, Lukas 10,41f). Sie sind sogar für etwas verantwortlich, das Gott selbst vorherbestimmt hat (Apostelgeschichte 2,22-23).
- Menschen haben aber keinen (völlig) freien Willen (Römerbrief 6,16-19; 2.Petrusbrief 2,19; Epheser 2,1-3; Kol 2,13. Römerbrief 8,7).
- Letztlich verstehen wir nicht, wie Gott uns zu bösen Taten vorherbestimmen kann, ohne selbst dafür verantwortlich zu sein, weil wir selbst dafür verantwortlich sind.
- Die größte Herrlichkeit besteht in Gottes Gnade am Kreuz: 2.Timotheusbrief 1,9 und Epheser 1,4-6 (vgl. Piper 83 und 84).
Talbot gesteht, dass diese Haltung Schwierigkeiten mit sich bringt:
„Ich finde es selbst schwierig zu verstehen wie das bei einigen der schlimmsten Dinge, die Menschen tun, der Fall sein kann, wie zum Beispiel bei sexuellem Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung oder erbarmungsloser Folter.“ (Talbot, 77)
Eine andere Schwierigkeit, die er erwähnt, wäre es, jemanden wie Elie Wiesel Gottes Güte und Vorsehung im Angesicht seines Leidens in Ausschwitz zu vermitteln:
„… vielleicht könnte Corrie ten Boom ihm Gottes Vorsehung und liebevolle Güte nahebringen…“ (Talbot, 77)
Fragen und Kritik an reformierten Theodizeen
Wird Gott dadurch böse?
Er selbst tut nie das Böse, sondern bringt seinen Willen durch sekundäre Mittel zur Geltung, durch Personen, die willentlich und absichtlich tun, was Gott vorgesehen hat. Hier können wir fragen, inwiefern wir auch für das verantwortlich sind, was wir andere tun lassen? (Vgl. Grudem 343.)
Werden unsere Entscheidungen zu Schein-Entscheidungen?
Die Bibel hält sie für real. (Vgl. Grudem 344.)
Worin liegt Gottes Herrlichkeit bei schrecklichem Leid?
Worin liegt Gottes Herrlichkeit, die er z.B. durch den brutalen Mord an einem Kind bekäme, fragt Bruce Little (God, Why This Evil? Hamilton Books: Lanham (Maryland), 2010). Aus seinem gerechten Urteil am Tag des Gerichts? Das Urteil trifft den Mann, so wendet Little ein, weil er Sünder ist, nicht weil er eine bestimmte Tat begangen hat – diese schreckliche Tat wäre also dazu überhaupt nicht nötig gewesen.
„Also ist die Behauptung, das größere Gute bestehe in Gottes Herrlichkeit bestenfalls weit hergeholt und schlimmstenfalls problematisch. Daher fällt es mir schwer zu verstehen, wie diese spezifische, furchtbare Sünde zu Gottes Herrlichkeit führt.“ (Little, 73)
Zusätzlich muss bedacht werden, dass nicht nur das Mädchen leidet, sondern auch viele andere Menschen. Wenn es Gott Ehre bringen sollte, das Opfer zu sich in den Himmel zu holen, dann gäbe es sicher andere Wege, die uns besser vorkommen.
Herzlose Aussagen vermeiden
Wer Leid so versteht, steht manchmal in Gefahr, sein Verständnis herzlos auszudrücken. David Bentley Harts reagiert mit beißender Kritik im Zusammenhang der Diskussionen über den Tsunami von 2004:
„Ein kalvinistischer Pastor, eindeutig von der Großartigkeit göttlicher Souveränität berauscht, verkündete, dass das Unglück im Indischen Ozean – wie alles andere – ein direkter Ausdruck des göttlichen Willens sei, der gemäß verborgenen und ewigen Ratschlüssen wirkt, die zu ergründen nicht fromm wäre, und die Konsequenzen hervorruft, deren Verurteilung anmaßend und sündhaft wäre.“ (David Bentley Hart, The Doors of the Sea. Where was God in the Tsunami? Eerdmans: Grand Rapids, 2005, 27)
Was ist mit anderen Akteuren?
Hart vermisst die Anerkennung der wirklichen Existenz zweiter Ursachen – also anderer Akteure außer Gott – und ihrer tatsächlichen Handlungen und schließt, dass daraus:
„Zu behaupten, dass jede endliche Kontingenz einzig und eindeutig der Effekt eines einzigen Willens wäre, der alle Dinge bewirkt – ohne jedes tiefere Geheimnis geschaffener Freiheit – bedeutet nichts anderes, als zu behaupten, dass die Welt ist, was sie ist, denn jeglicher Bedeutungsunterschied zwischen Gottes Willen und der einfachen Gesamtheit kosmischen So-Seins wäre hinfällig.“(Hart, 27)
Aber nicht nur der Unterschied zwischen der Welt und Gottes Willen würde kollabieren, auch das Gottesbild ist beeinträchtigt:
„So ein Gott wäre schlussendlich nichts als Wille und daher nichts als ein unendliches, reines Ereignis; und die einzige Verehrung, die solch ein Gott hervorrufen kann ist ein fast perfektes Zusammenfallen von Glaube und Nihilismus.“ (Hart, 30)
Braucht Gott das Böse?
Hart weist auch die Vorstellung zurück, Sündenfall und Erlösung wären für Gott notwendig gewesen um sein Ziel zu erreichen:
„Indem er unendlich selbstgenügsam ist, hat Gott es nicht nötig, durch Sünde und Tod zu gehen, um seine Herrlichkeit in seinen Geschöpfen zu manifestieren, oder um sie vollkommen mit sich selbst zu verbinden, oder um ihren Verstand auf die höchst mögliche Schau der Reichtümer seines Wesens zu heben. Daher ist es irreführend zu sagen, wie der oben erwähnte Gelehrte es tat, das das Drama von Fall und Erlösung den letzten Zustand der Dinge herrlicher machen wird als er sonst hätte sein können.“ (Hart, 74)
Bleibt hier ein „Stachel“?
Das Gedicht von Kurt Marti drückt die Problematik eindrücklich aus (Kurt Marti. Wen meinte der Mann? Gedichte und Prosatexte. Reclam: Stuttgart, 1990, 95-96):
stachel
es lobt
die lust eines vogels
im sturzflug den falter zu pflücken
den vater aller geschöpfe
lobt
der falter
ihn auch?
es lobt
die lust einer katze
im spiel das mäuschen zu killen
den gott allen lebens
lobt
das mäuschen
ihn auch?
es lobt
die lust eines seestern
das muscheltier lebendig zu schlürfen
den lenker aller geschicke
lobt
das muscheltier
auch?
(Zurück zu Das logische Argument des Leids entkräften.)
Englische Orginalzitate
„I believe the entire universe exists to display the greatness of the glory of the grace of God. … The ultimate purpose of the universe is to display the greatness of the glory of the grace of God. The highest, clearest, surest display of that glory is in the suffering of the best Person in the universe for millions of undeserving sinners. Therefore, the ultimate reason that suffering exists in the universe is so that Christ might display the greatness of the glory of the grace of God by suffering in himself to overcome our suffering and bring about the praise of the glory of the grace of God.“ John Piper, The Suffering of Christ and the Sovereignty of God, In: ebda., 81-89, 81 und 89.
„… perhaps Corrie ten Boom could witness to him [Elie Wiesel] of God’s providence and loving goodness …“ Talbot, 77.
„So, the claim the greater good is for God’s glory is a stretch at best and problematic at worst. So, I have a hard time understanding why this particular horrible sin leads to God’s glory.“ Little 73.
„A Calvinist pastor, positively intoxicated by the grandeur of divine sovereignty, proclaimed that the Indian Ocean disaster – like everything else – was a direct expression of the divine will, acting according to hidden and eternal counsels it would be impious to attempt to penetrate, and producing consequences it would be sinful to presume to judge.“ Hart, 27.
„To assert that every finite contingency is solely and unambigously the effect of a single will working all things – without any deeper mystery of created freedom – is to assert nothing but that the world is what it is, for any meaningful distinction between the will of God and [29/30] the simple totality of cosmic eventuality has collapsed.“ Hart,29-30.
„Such a God, at the end of the day, is nothing but will, and so nothing but an infinite brute event; and the only adoration that such a God can evoke is an almost perfect coincidence of faith and nihilism.“ Hart 30.
„Being infinitely sufficient in himself, God has no need of a passage through sin and death to manifest his glory in his creatures, or to join them perfectly to himself, or to elevate their minds to the highest possible vision of the riches of his nature. This is why it is misleading even to say, as did that scholar mentioned above, that the drama of fall and redemption will make the final state of things more glorious than it might otherwise have been.“ Hart, 74.