Spricht das Böse gegen den biblischen Gott?

Das „Gute“ am Leid? Dient es uns und der Welt?

Dieser Ansatz versucht zu zeigen, dass Leid eine Funktion hat, ein Instrument zu einem guten Ziel ist bzw sein kann. So wird Leid selbst etwas Gutes oder bringt zumindest etwas Gutes hervor.

Wozu dient es bzw. könnte es dienen?

Dient Leid immer der Verschönerung?

Leid wird hier zu einem Mittel, die Welt und ihre Geschichte zu verschönern. Dahinter steckt die Vorstellung, dass Schönheit aus Gegensätzen entsteht:

„Schon Plotin (205-270) hatte in dieser Zielrichtung festgestellt, dass kein Schauspiel ohne Bösewicht auskommt, und Augustinus (354-430) äußerte beipflichtend, dass sich die Schönheit und Harmonie aller Dinge aus Gegensätzen speist.“ (Klaus von Stosch, Theodizee. Ferdinand Schöningh: Paderborn, 2013, 25)

Die Frage ist, ob das wirklich die letzte Antwort sein kann. Die Gegensätze in einem schönen Gemälde sind nicht „schöne“ und „hässliche“ Farben, sondern unterschiedliche Farben. Auch wenn Geschichten, in denen nichts schief gehen kann, langweilig sind, müssen es so viele Geschichten sein, die so entsetzlich schief gehen?

Dient Leid immer der Erziehung, Prüfung, Tugend, Wissen oder Erkenntnis?

In diesen Erklärungen dient Leid der leidenden oder zumindest mit-leidenden Person. Es ermöglicht eine Entwicklung oder eine Reifung dieser Person. Diese Prozesse gibt es tatsächlich, es bleiben aber Fragen offen:

Dient Leid der Erziehung?

Wenn Leid der Erziehung dient, warum leiden dann oft nicht die, die erzogen werden sollen? Oder warum ist es so überaus groß?

„Das Leiden ist viel zu oft viel zu verheerend, um ihm noch irgendeinen pädagogischen Nutzen zusprechen zu können – zumindest nicht über die Köpfe der von ihm Betroffenen hinweg.“ (Klaus von Stosch, Theodizee. Ferdinand Schöningh: Paderborn, 2013, 24)

Dient Leid der Prüfung?

Wenn Leid der Prüfung dient, wie z.B. Hebräer 12,4-11 nahelegt, warum dauern manche Prüfungen so lange und warum gibt es so viele Menschen, die sie nicht ertragen konnten?

Dient Leid der Entwicklung von Tugenden?

Der Philosoph Richard Swinburne entwickelt daraus seine „Being-of-use-Argumentation“, und weist darauf hin:  Mut, Tapferkeit und Mitleid sind moralische Tugenden, die erst in Konfrontation mit Leid möglich werden.

„In einer reinen Paradieswelt gäbe es weder eine Mutter Teresa noch einen Albert Schweitzer, und auch nicht die menschlich-personalen Werte, die uns an ihnen faszinieren.“ (Alexander Loichinger, Theologie und Naturwissenschaft. Eine Grundbestimmung. In: ThGl 92 (2002) 195-209, 207. Zit.n. Stosch, 20.)

Vielleicht hätten die leidenden Personen hier aber den Einwand, dass sie lieber nicht für andere zur Ermöglichung derer Tugenden dienen – und es gibt auch Leiden, das einfach überwältigt und nichts in den Leidenden oder den Mitleidenden bewirkt.

Dient Leid dem Wissen und Erkenntnis?

Richard Swinburne entwickelte ebenfalls eine „Need-for-knowledge-Argumentation“: Natürliches Leid (ausgelöst durch das malum physicum) ist nötig für Erkenntnis von Handlungskonsequenzen. Leid ist notwendig für Wissenserwerb. Ähnlich dachte bereits Laktanz:

„Gott kann alles, was er will und Schwäche und Mißgunst ist nicht in ihm. Er kann also die Übel wegnehmen, aber er will es nicht; und doch ist er darum nicht mißgünstig. Er nimmt sie aus dem Grunde nicht hinweg, weil er, wie bemerkt, dem Menschen zugleich die Weisheit (Vernünftigkeit) verliehen hat, und weil mehr Gutes und Annehmliches in der Weisheit liegt, als Beschwerlichkeit in den Übeln. Denn die Weisheit bewirkt, dass wir Gott erkennen und vermöge dieser Erkenntnis die Unsterblichkeit erlangen, und darin besteht das höchste Gut. Wenn wir also nicht vorher das Übel erkennen, so vermögen wir auch nicht das Gut zu erkennen. Aber das hat sich weder Epikur noch ein anderer klar gemacht, daß mit der Aufhebung der Übel zugleich die Weisheit hinweggenommen würde, und daß keine Spur von Tugend mehr im Menschen bliebe; denn das Wesen der Tugend liegt im Ertragen und Überwinden der Bitterkeit des Übels.“ ( Laktanz: De ira dei, 13, in: Des Lucius Caelius Firmanius Lactantius Schriften, aus dem Lateinischen übersetzt von A. Hartl, Bibliothek der Kirchenväter 36, Kösel, München 1919, 103.)

Wie weit kommt man mit dieser Antwort? Stosch urteilt im Zusammenhang mit Sklavenhandel:

„Offenkundig wird die Argumentation an dieser Stelle zynisch, weil die Sklaven im Beispiel nicht als Zweck an sich selbst respektiert werden, … Das grundlegende Argument Swinburnes, dass Leiden die Bedingung der Möglichkeit für die Ausbildung bestimmter Werte und Charakterzüge ist, ist damit allerdings noch nicht erledigt.“ (Klaus von Stosch, Theodizee. Ferdinand Schöningh: Paderborn, 2013, 21)

In Bezug auf das malum physicum stellt sich die Frage, ob so viel davon nötig ist, um etwas zu erkennen. Zudem führt das Leid nicht nur zu Tugend sondern auch zu weiterem Leid. Und kann die Armut und Einsamkeit von Waisenkindern wirklich dadurch gerechtfertigt werden, dass dadurch Großzügigkeit möglich wird? (Vgl. Gerhard Streminger zit. n. Stosch, 22.)

Dient Leid als Strafe?

Leid kann zur Strafe dienen. Jedoch leiden oft Unschuldige. Ebenfalls ist anzumerken, dass das Leid, die Verbrechen, die Krankheiten und Naturkatastrophen nach einer gewissen Zeit nicht mehr nötig wären – weshalb sollten sie also weiterhin bestehen? (Vgl. Bruce A. Little, God, Why This Evil? Hamilton Books: Lanham (Maryland), 2010, 44.)

Und außerdem erklärt die Strafe nicht, warum die Übeltat, die sie bestraft, möglich war.

Dient Leiden dazu, Liebe und einen Seelenbildungsprozess zu ermöglichen?
Leid ist nötig, damit es Liebe geben kann.

In diese Richtung denken Irenäus von Lyon (135-202) und John Hick (1922-2012). Nur in einer epistemisch offenen Situation ist eine freie Entscheidung für oder gegen Gott möglich. Diese Entscheidung ist Gottes Ziel. Durch Anwesenheit des Leides wird Gottes Existenz bezweifelbar und echte Liebe möglich. Das heißt, Leid ist nicht ein „Nebenprodukt“ freier Entscheidungen, sondern eine Voraussetzung – es muss Leid geben, damit Liebe existieren kann:

„Und Liebe kann es nur geben, wenn keine andere Motivation das ausschlaggebende Moment in der Beziehung zu Gott ist, als der Wunsch zu lieben. Wenn die ganze Welt ein einziger Hinweis auf Gottes Liebe wäre, hätte kein Mensch eine realistische Möglichkeit, sich in einem Akt der Freiheit und vertrauender Liebe an Gott hinzugeben. Es wäre nicht ein Zeichen der Liebe, sondern ein Zeichen von Intelligenz, Gesundheit oder Dankbarkeit, an Gott zu glauben. Das Diesseits stellt dieser Konzeption zufolge also die Bedingung der Möglichkeit einer freien Zuwendung zu Gott dar, die im Jenseits geläutert und vollendet, aber nicht allererst hervorgerufen werden kann.“ (Klaus von Stosch, Theodizee. Ferdinand Schöningh: Paderborn, 2013, 29)

Hiob (2,10) scheint ein Mensch zu sein, der Gott liebt, auch wenn er Böses von ihm bekommt – Leid scheint also zumindest in der Bibel keine Voraussetzung für Liebe zu Gott zu sein. Auch die Liebe, die zwischen den Personen der Dreieinigkeit besteht, kommt ohne Leid aus.

Leid ist nötig, um unsere Seele auszubilden.

Leid ermöglicht „dem Menschen die Ausbildung seiner Persönlichkeit und die Entwicklung seines Charakters“ (Klaus von Stosch, Theodizee. Ferdinand Schöningh: Paderborn, 2013, 30). Nach dem Tod wird die Entwicklung der Seele vollendet. (John Hick, ein Vertreter dieser Auffassung, muss letztlich auch auf das Mysterium verweisen und Allversöhnung annehmen, vgl. Little, 38-40.)

Die Philosophin Eleonore Stump vergleicht unsere Welt mit einem Krankenhaus: Wir ertragen das Leid, das dort durch Behandlungen und Operationen verursacht wird, weil wir ein Ziel damit verfolgen. Ebenso das Leid in der Welt: Gottes Ziel ist es, die Dinge wegzunehmen, die das Leben mit Gott verunmöglichen. Dadurch werden Leben mit Gott, Offenheit für Gott, tiefere Beziehung mit Gott und Heilung der Dinge, die uns von ewiger Vereinigung mit Gott abhalten, ermöglicht. Psychologische Studien zeigen, dass entsetzliches Leid oft zu einer Erneuerung des Lebens führt (Posttraumatisches Wachstum) – Wohlbefinden steigt nach paradoxerweise durch das Trauma. Leid vertieft den Charakter und ermöglich tiefere und engere Beziehungen. (Vgl. Eleonore Stump, The problem of suffereing, https://publicchristianity.org/library/the-problem-of-suffering, 15.9.2017)

Hier erfahren wir, wieso wir Gott vertrauen und Leiden ertragen sollen. Aber nicht, wieso es überhaupt Leiden und Dinge gibt, die uns von Gott trennen.

Dient Leid der Höherentwicklung?

Die Logik der Evolution setzt Leid voraus, Leid führt zu Höherentwicklung. Diese Darstellung missversteht die bescheidene Aussage der Evolutionstheorie, die nicht von Höherentwicklung spricht, sondern von ungerichteter Anpassung an Lebensbedingungen.

(Zurück zu Das logische Argument des Leids entkräften.)