„… von Anfang an aber ist es nicht so gewesen.“ (Jesus, Matthäusevangelium 19,8)
Jesus ist davon ausgegangen, dass die Welt ursprünglich anders war, als sie zu seiner Zeit war.
So weist er auf den größeren Rahmen hin, den die Bibel aufspannt. Dieser größere Rahmen erklärt, warum es überhaupt Leid gibt.
Warum gibt es Leid? Drei Sätze fassen die Antwort zusammen:
- Gott hat den Menschen als Höhepunkt der guten Schöpfung geschaffen.
- Der Mensch hat sich gegen Gott aufgelehnt.
- Deswegen leben wir in einer kaputten Welt.
Gott hat den Menschen als Höhepunkt der guten Schöpfung geschaffen.
Gottes Schöpfung ist „sehr gut“ (Genesis 1,31). Die Schöpfung war also gut und braucht nicht den Sündenfall, um besser zu werden. (Gott wusste aber, was passieren würde und wie er die Geschichte zu seinem guten Ende führen würde, vgl. 2.Timotheus 1,9).
Beachtenswert ist dabei, dass die Welt, die der Atheist Norbert Hoerster von Gott fordert, ironischerweise genau die Welt ist, die Gott geschaffen hat:
„Es gibt zwar – wie im Schlaraffenland – keine unheilbaren Krankheiten und keine Naturkatastrophen, die dem Menschen mehr oder weniger furchtbare Leiden zufügen. Auch ist ein geringes Maß an Arbeit, die zudem als angenehm empfunden wird, für jeden Menschen ausreichend, um ihm ein langes und gesundes Leben zu sichern. Gleichwohl ist jeder Mensch – ganz anders als im Schlaraffenland – dazu in der Lage, sich ein mehr oder weniger glückliches und erfülltes Leben zu verschaffen. Und unter diesem Aspekt ist er durchaus darauf angewiesen, nachzudenken und Pläne zu schmieden, sich anzustrengen und hart zu arbeiten, zugunsten größerer Projekte auf manche momentane Befriedigung zu verzichten, mit anderen Menschen Absprachen zu treffen und zu kooperieren ect. Außerdem hat er natürlich auch die Möglichkeit, aus bloßem Altruismus andere Menschen bei ihren entsprechenden Bemühungen zu ermutigen und zu unterstützen.“ (Norbert Hoerster, Die Frage nach Gott, Beck, München 20052, 100)
Für Tiere fordert Hoerster hingegen „ein Schlaraffenland“ … „wie es seit siebzehn Jahren einer Katze in meinem Haus und Garten zur Verfügung steht…“ (102).
Diese Welt hat Gott tatsächlich am Anfang geschaffen und das Schlaraffenland für Tiere wäre wohl die Aufgabe für den Menschen als Verwalter und Gestalter dieser Welt gewesen.
Allerdings gibt es einen entscheidenden Mangel in Hoersters Wunschwelt: Gott scheint darin nicht vorzukommen.
Gott als Schöpfer der Menschen
Menschen sind höchst wertvoll – und zugleich abhängig. Denn sie existieren wegen Gott und als Gottes Ebenbild:
Das bedeutet, dass Menschen Gott brauchen. Ein Spiegelbild existiert wegen dem Original – nicht aus sich selbst.
Das bedeutet, dass Gott souverän entscheidet, wie und wie lange Menschen leben. Die Bibel beschreibt das mit dem Bild eines Töpfers. Gott ist der gute Töpfer, wir sind der Ton. Dieses Bild zieht sich durch die ganze Bibel und fängt schon damit an, dass Gott den Menschen aus einem Klumpen Erde macht (Genesis 2,7. Siehe auch Jesaia 29,16 und 64,7; Jeremiah 18,1-17; Römerbrief 9,21-22).
Der himmelhohe Unterschied zwischen Gott und Mensch bringt das malum metaphysicum in die Welt. Das Bild des Töpfers läuft unserer Kultur komplett gegen den Strich. Wir denken, wir haben Rechte – auch vor Gott. Aber es gibt kein Recht für Töpfe, dass sie zwei Henkel haben. Es gibt kein Recht für Menschen, in Glück und voller Gesundheit 90 Jahre alt zu werden. Der Töpfer entscheidet das.
Dieser Töpfer ist aber gut! Gott ist gut. Er ist heilig und gut:
Gott ist Licht und in ihm ist gar keine Finsternis. (1.Johannesbrief 1,5)
Gott als Schöpfer, Menschen als Höhepunkt: Das spricht gegen Minderwertigkeit und Größenwahn! Das adelt und ernüchtert.
Wozu sind Menschen da?
Wozu hat Gott Menschen laut Bibel gemacht? Dass sie leuchten, dass alle Welt sehen soll, wie liebevoll, zärtlich und fürsorglich dieser Gott ist!
„So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er sie, als Mann und Frau schuf er sie.“ (Genesis 1,27)
Das bedeutet, dass an uns sichtbar wird, wie er ist. Wir sind zu seiner Verherrlichung geschaffen. Aber was zeigt sich an uns?
Gott ist Liebe. (1.Johannesbrief 4,16)
Gott ist Liebe und sein Bild ähnelt ihm darin. Er hat Mann und Frau zu seinen Gesprächspartnern geschaffen, zu einem echten Gegenüber, nicht nur, um ihn zu verherrlichen, sondern auch um „sich für immer an ihm zu erfreuen“:
„Was ist das höchste Ziel des Menschen? Das höchste Ziel des Menschen ist, Gott zu verherrlichen und sich für immer an ihm zu erfreuen.“ (Der kürzere Westminster Katechismus von 1647, MBS Texte 61, 2. Jg,, o.O. 2005, Seite 4, Frage 1, https://www.bucer.org/fileadmin/_migrated/tx_org/mbstexte061.pdf, 7.5.2019).
Menschen sind darauf angelegt, Gott zu kennen, lieben und genießen. In der Bibel geht es um Liebe.
Gott hat die Menschen so gemacht, dass es echte Liebe ist, freiwillige und tiefe Liebe! Er hat sie als Personen mit Verantwortung und Entscheidungsfreiheit gemacht.
Dazu braucht es eine Welt mit regelmäßigen Abläufen (Naturgesetzen).
Und die Personen selbst brauchen, wenn sie fähig zu echter Liebe sein wollen, Verantwortung und Entscheidungsfreiheit.
„Sowohl die Bibel in ihrem Zusammenhang als auch gewisse Schriftabschnitte lehren entweder ausdrücklich oder setzen stillschweigend voraus, daß folgende beide Aussagen wahr sind:
1. Der allmächtige Gott waltet souverän und frei, doch wirkt sich seine Herrschaft niemals so aus, daß dabei die Verantwortung des Menschen beschnitten, minimiert oder gänzlich aufgehoben würde.
2. Menschen sind moralisch verantwortliche Wesen – sie treffen sinnvolle Entscheidungen, rebellieren, gehorchen, glauben, widersetzen sich usw. und werden zu Recht für diese Handlungsweisen verantwortlich gemacht: Dies wirkt sich jedoch nie so aus, daß Gott dadurch eingeschränkt würde.“ (Donald A. Carson, Ach, Herr, wie lange noch?, Francke, Marburg an der Lahn 1993, 197)
Dass Freiwilligkeit zu Liebe gehört, belegt das Gedankenexperiment mit dem „Liebespulver“: Wenn mich meine Frau nur liebt, weil ich ihr jeden Tag ein gewisses Pulver in den Kaffee mische, dann ist es wohl keine echte Liebe. (Dieses Gedankenexperiment findet sich auch bei Stosch, 90-91, es ist aber schon viel älter.)
Der Mensch hat sich gegen Gott aufgelehnt.
Kein Mensch hält den Gedanken aus, dass er oder sie nicht selber der Chef ist.
Wir mögen dieses Bild vom Töpfer und Ton nicht. Und dann startet eine Rebellion, einen Putschversuch: Ich lehne mich auf, ich verfehle das Ziel, Gott zu genießen, und mach dadurch was kaputt. Dann will ich alles vertuschen.
Diese Wahrheit und ihren Anfang beschreibt die Bibel in der Geschichte vom Sündenfall (Genesis 3). Die Menschen misstrauen Gott, rebellieren gegen sein Ordnung, suchen seine Geschenke ohne ihn und zerstören damit ihre Beziehungen. Dann verstecken sie sich vor einander und vor ihm.
Das alles zerbricht die Beziehung mit Gott. Der Mensch hat sich aus seiner Beziehung mit Gott „herausgeputscht“. Wir sind bereit, die Geschenke Gottes anzunehmen (Natur, Freundschaft und Liebe, Sport, Käse), aber dann laufen wir davon. Das wiederholt sich immer wieder in jedem Leben – allerdings meistens passiv, unbewusst.
Und die Folge? Gott ist die Quelle des Lebens, wenn man sich von ihm abwendet, reißt die Lebensader, wird die Luftzufuhr abgeschnitten. So taumeln wir in den Tod. Die Folge der Rebellion ist Leid. Leid und das Böse waren also nicht ursprünglich, sondern sind sekundär.
Das meiste Leid kann direkt darauf zurückgeführt werden, dass Menschen sich für das Böse entscheiden. Wir Menschen – einschließlich dem Autor dieses Beitrages!
Der Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn hat im Gulag, dem sowjetischen Konzentrationslager erkannt:
„Der Strich, der das Gute vom Bösen trennt, durchkreuzt das Herz eines jeden Menschen.“ (Alexander Solschenizyn, Der Archipel Gulag, Bern, Scherz Verlag, 1974, 167)
Die traurige Wahrheit dieses Satzes sehen wir daran, dass wir uns immer entschuldigen wollen, wenn wir Böses tun und Leiden verursachen: „Ich war müde. Der andere hat angefangen. Ich hab eine schwere Kindheit gehabt. Ich war unter Stress…“ Aber nicht die äußeren Umstände sind schuld. Menschen sind wie Zitronen – der äußere Druck bringt den sauren Saft nur zum Vorschein. Der Saft war schon sauer – in der Zitrone. Zum Glück haben wir auch eine Schokoladenseite, sonst wäre es mit uns echt unerträglich.
Die Bibel unterscheidet zwischen unserer Einstellung und ihren Folgen. Unsere innere Einstellung lautet: „Gott kann sich brausen gehen.“ (Diese Haltung nennt die Bibel mit einem Fachwort „Sünde“.) Die Folgen davon sind böse, selbstsüchtige Taten wie Gier, Diebstahl, Hass und so weiter. (Die Folgen nennt die Bibel „Sünden“.) Der Zitronensaft in der Zitrone ist die Einstellung. Der Zitronensaft, der rauskommt und dir die Augen verätzt, das sind die Auswirkungen.
Der zweite Satz lautet: Der Mensch hat sich gegen Gott aufgelehnt.
Deswegen leben wir in einer kaputten Welt.
Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte und wir sind daran schuld. Die ganze Schöpfung ist krank, weil der Höhepunkt der Schöpfung rebelliert hat. Als der Höhepunkt die Lebensader durchschnitten hat, ist ein Riss durch alles gegangen.
Denn der Mensch war für die Welt verantwortlich war. Er sollte sie verwalten, darauf aufpassen.
Was war mit dem malum physikum vor dem Zerbruch der Welt?
Es gibt drei Möglichkeiten in Bezug auf das Malum physicum:
- Vor Sündenfall taten Dornen und Disteln nicht weh, Adam wäre im Paradies nicht auf eine Ameise gestiegen oder es hätte ihr nichts ausgemacht, durch ihre ungetrübten kognitiven und epistemischen Fähigkeiten wären Menschen allen Naturkatastrophen ausgewichen;
- die Welt war bereits korrumpiert durch böse Engel und Gott hat Mensch im Garten beschützt;
- der Mensch hat alles ruiniert, weil er der Verantwortliche war.
Warum leide ich unter dem, was Jemand vor langer Zeit falsch gemacht hat?
Alles wofür der Mensch verantwortlich war, ging den Bach runter. Aber wieso leide ich unter dem, was jemand anderer vor langer Zeit falsch gemacht hat?
Wenn meine Eltern vor meiner Geburt nach Argentinien auswandern und Argentinier werden, krieg ich keine österreichische Staatsbürgerschaft – der Mensch ist ausgewandert, ich leide.
Menschen haben echte Verantwortung für ihre Handlungen und die Konsequenzen ihrer Handlungen erreichen auch ihre Nachkommen.
Leid zeigt, dass etwas nicht stimmt
Leid ist ein Hinweis darauf, dass mit unserer Welt etwas nicht in Ordnung ist. Unsere Welt ist in gewisser Hinsicht kaputt. Das tut weh.
Vielleicht hast du auch schon einmal einen kaputten Schuh angehabt – beim Bergsteigen oder beim Laufen. Das tut weh. Allerdings geht es nicht nur um einen Schuh, es geht um uns.
Wir leben als zerbrochene Wesen in einer zerbrochenen Welt. Und mit unseren zerbrochenen Händen zerbrechen wir uns und andere um uns immer mehr. Etwas stimmt an der Welt nicht.
Leid wird kommen
Wir leben in einer zerbrochenen Welt. Deswegen kann ich gleich sagen: Leid wird kommen, auch in Dein Leben, egal Du Dich dagegen zu schützen versuchst. Egal, wie fromm Du bist. Glauben schützt vor Leid nicht – das machen die Apostel den frühesten Gläubigen unmissverständlich klar:
Der Weg in Gottes Reich führt durch viel Leid und Verfolgung. (Apostelgeschichte 14,22)
Gerade für Christen gilt: Wenn Du einem leidenden Messias folgst, sei nicht überrascht, wenn Du auch leidest.
Leid ist etwas Schlechtes
Andere Weltanschauungen sehen das vielleicht anders. Materialisten können Atome nicht ethisch bewerten und genausowenige können sie Leid ethisch werten. Für Dualisten gibt es eben zwei entgegengesetzte Kräfte, das ist eben so.
Aber die Bibel sagt: Leid ist etwas Schlechtes.
Natürlich kann es manchmal sein, dass Leid später noch Sinn macht (weil Gott es für Verschiedenes nützen kann):
Zahnschmerzen warnen uns vor noch mehr Schmerzen. Wachstumsschmerzen sind unvermeidlich für angehende Spitzenmusiker. Es kommt sogar vor, dass Menschen im tiefsten Leid erst offen werden für die Realitäten des Lebens. Leid erinnert uns an unsere Sterblichkeit und schafft ein Klima, in dem unsere Gedanken auf Gott gelenkt werden:
„Gott flüstert in unseren Freuden, spricht durch unser Gewissen aber ruft in unserem Leid; es ist sein Megaphon um eine taube Welt aufzurütteln.“ (C. S. Lews)
Die ganze Welt ist zerbrochen:
„… alles Geschaffene ist der Sinnlosigkeit ausgeliefert, versklavt an die Vergänglichkeit… Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis jetzt noch stöhnt und in Wehen liegt wie eine Frau bei der Geburt.“ (Römerbrief 8,20-22)
Leid, Katastrophen, Verbrechen: sie erinnern uns daran, dass wir in einer abnormalen Welt mit abnormalen Menschen leben.
Aber bloß weil Gott aus etwas Schlechtem noch etwas Gutes zustande bringt, wird das Schlechte dadurch nicht plötzlich gut. Leid ist etwas Schlechtes.
Das folgende Gedicht drückt den Skandal und das Böse am Leid aus. Es stammt von Kurt Marty, dem Schweizer Lyriker und reformierten Pfarrer, aus seinem Band „Leichenreden“ (München, dtv, 2004). Es ist die Leichenrede für „Gustav E. Lips“:
dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen
dass gustav e. lips
durch einen verkehrsunfall starberstens war er zu jung
zweitens seiner frau ein zärtlicher mann
drittens zwei kindern ein lustiger vater
viertens den freunden ein guter freund
fünftens erfüllt von vielen ideenwas soll jetzt ohne ihn werden?
was ist seine frau ohne ihn?
wer spielt mit den kindern?
wer ersetzt einen freund?
wer hat die neuen ideen?dem herrn unserem gott
hat es ganz und gar nicht gefallen
dass einige von euch dachten
es habe ihm solches gefallenim namen dessen der tote erweckte
im namen des toten der auferstand:wir protestieren gegen den tod gustav e. lips
Stimmt das? Sieht Gott das Leid so? Was tut Gott gegen das Leid? Darum geht es in folgenden Beiträgen.