Wie erfahren und begreifen wir Gott und Leid?

Fragen zum Leid: An die christliche Perspektive

Wenn die Frage nach dem Leid ein Einwand gegen den christlichen Glauben ist, wie beantwortet die christliche Überlieferung verschiedene Fragen zum Leid?

Wo kommt „das Böse“ in der Bibel zuerst vor?
  • Gen 1,2? Die Erde war „wüst und leer“. Hier wird ein Zustand beschrieben, dem etwas fehlt: Form und Inhalt. Dieser chaotische Zustand ist nicht gut. Gottes Methode war die schrittweise Formgebung und Füllung dieses Tohuwabohus, die Szenerie wird im Lauf der Erzählung immer Besser, bis sie schließlich „sehr gut“ ist (1,31).
  • Gen 2,17? „Der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“ ist selbst Teil dessen, was Gott in Summe „sehr gut“ (Gen 1,31) nennt. Was ist an diesem Baum gut? Wo vorher nur die Möglichkeit bestand, zwischen vielen guten Möglichkeiten zu wählen hat dieser Baum in der Geschichte die Funktion, eine neue Qualität von Wahl zu treffen, nämlich zwischen guten und schlechten. Die Menschen in der Geschichte erhalten die neue und gute Möglichkeit zum Bösen nein zu sagen und darauf zu vertrauen, ihr Wissen und ihre Erkenntnis von Gott zu erhalten. Sie erlangen durch diese Möglichkeit eine neue Art von Wissen, Freiheit und Reife. Der Baum war natürlich innerhalb des biblischen Gesamtbildes nicht dazu gedacht, dass Menschen Sklaven der Sünde werden (vgl. Gen 4,7).
  • Gen 2,18? In einer überraschenden Wendung wird vom Refrain des ersten Kapitels („Es war gut“) abgegangen und das Gegenteil gesagt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ In dieser Unvollständigkeit eines einsamen Menschen liegt ein Übel.
  • Gen 3,1? Die listige Schlange legt Gott verdrehte Worte in den Mund und stellt sie in Frage – hier scheint endgültig Böses in der Welt zu sein im Ablauf der biblischen Erzählung. Aber nirgendwo wird thematisiert, weshalb die Schlange böse war. (Sicher war sie Teil der „sehr guten“ Schöpfung, aber nirgendwo wird in der Bibel die Frage angesprochen, wodurch diese ursprünglich böse Tat ausgelöst wurde.)
Kommt das Böse von Gott?

Das Böse ist kein (ehemaliger oder gegenwärtiger) Teil von Gott, aber Gott ermöglicht mit dem Guten auch die Möglichkeit des Bösen. So wird er zur Ursache der Möglichkeit des Bösen. Er lässt das Böse geschehen, ohne selbst dafür schuld zu sein. Keine böse Tat kann ihn davon abhalten, sein gutes Ziel zu erreichen.

Gott erhält alles (Hebr 1,3) und wirkt alles nach seinem Willen (Eph 1,11), bis zu kleinsten Ereignissen (Mt 10,29) und den Weg der Menschen (Spr 16,9; 21,1; Phil 2,13). Allerdings impliziert Mt 6,10, dass nicht alles nach seinem Willen läuft.

Wenn Gott Böses auf diese Art verursacht und möglichweise in sein Handeln miteinbezieht, um sein Ziel zu erreichen, wie kann er dann nicht dafür verantwortlich gemacht werden?

Wie könnte jemand Böses verursachen, ohne dafür schuld zu sein?
  • Beispiel 1: Hinter meinem Auto fährt jemand voller Stress. Ich fahre nicht schneller als erlaubt. Der Fahrer hinter mir wird immer zorniger über mich, bis er mich schließlich überholt und dadurch jemanden bei einem Unfall verletzt: Habe ich das Böse dann nicht ausgelöst, ohne dafür verantwortlich zu sein?
  • Beispiel 2: „Ich werde meine Kinder zornig machen… indem ich sie Zimmer aufräumen schicke.“ Ich weiß sogar, wie sie reagieren werden (mit bösem Zorn, den ich auslöse), aber ich löse ihre böse Reaktion wegen einem guten Ziel aus.
Gibt es sinn- und zweckloses Übel?

Für manche, wie Ingo Dalferth, ist klar:

„Es gibt eine Unmenge offenkundig sinn- und zwecklosen Übels in der Welt, das in keiner Weise zu irgendeinem Gut beiträgt.“ (Ingolf U. Dalferth, Karl Kardinal Lehmann, Navid Kermani, Das Böse: Drei Annäherungen, Herder, Freiburg im Breisgau 2011, 9-52, 24)

Notwendige Übel sind für ihn:

  • Metaphysisch notwendig (Wenn es überhaupt etwas gibt, dann ist es unmöglich, dass es diese Übel nicht gibt.) (Wir sind endliche Wesen.)
  • Physisch oder natürlich notwendig (Wenn es gewisse Ursachen gibt, dann ist es unmöglich, dass es diese Übel als Wirkungen nicht gibt.) (Wir erhalten unser Leben auf Kosten anderer Lebewesen.)
  • Teleologisch notwendig (Wenn ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll, ist es unmöglich, dass es diese Übel als Mittel nicht gibt.) (Wir stecken Vergewaltiger aus Gründen der Gerechtigkeit ins Gefängnis.)
  • Andere Übel sind nicht notwendig und hätten auch nicht eintreten müssen (Morde, Einbrüche, …)

Sind sie deswegen sinn- und zwecklos? Kohelet würde vermutlich darauf hinweisen, dass wir nicht in jedem Fall davon ausgehen können, weil wir nicht das ganze Bild haben oder alles verstehen, das Gott tut.

Weitere Fragen …

… werden hier bearbeitet und hoffentlich beantwortet.