Der Physiker (und Theologe) John Polkinghorne vertritt die Auffassung, die Schöpfung entwickle sich in einem freien Prozess. (Science and providence. God‘s interaction with the world, Boston 1989, 62)
Astrid Dinter fasst Polkinghornes Position so zusammen:
„Gott, der liebende Schöpfer, ermöglicht seiner Schöpfung, die ihr inhärenten Möglichkeiten zu verwirklichen und einen eigenen Weg des Werdens zu finden. Dieses Erforschen inhärenter Möglichkeiten in einem Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit bringt auch mit sich, daß negative Möglichkeiten verwirklicht werden können.“ (Astrid Dinter, Vom Glauben eines Physikers. John Polkinghornes Beitrag zum Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften, Mainz 1999, 98, zit.n. Stosch, 65.)
Stosch sieht das im Zusammenhang mit dem freien Willen:
„Es scheint mir also durchaus vernünftig zu sein, das malum physicum im Allgemeinen ebenso wie alle Grund- und Nebenbedingungen der Freiheit als unumgängliche ungewollte Nebenfolgen der Evolution zu verstehen. Ihre Existenz wäre demzufolge nur zu vermeiden gewesen, wenn die Realisierung von mit Willensfreiheit ausgestatteten Wesen aufgegeben worden wäre.“ (Klaus von Stosch, Theodizee, Ferdinand Schöningh, Paderborn, 2013, 68)
Was ist mit dem Leid von Tieren?
Gegen evolutionäre Szenarien wird eine ihrer Konsequenzen angeführt: Was ist mit dem Leid der Tiere?
„Theodizee ohne Glaube an die Unsterblichkeit der Tiere völlig unmöglich.“ (Michael J. Murray, zit.n. Stosch, 68)
Allerdings ist auch zu beachten, dass die Bibel dem Leid der Tiere – auch wenn sie es nicht verleugnet, siehe z.B. Tierschutzbestimmungen im Gesetz – recht unsentimental zu begegnen scheint. Einerseits werden Tiere sehr wichtig genommen – z.B. in Jona 4,11-12 antwortet Gott seinem Propheten (der sich ärgert, weil Gott die Stadt Ninive verschont, aber eine schattenspendende Pflanze verdorrt ist):
Und der HERR sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere? (Jona 4,11-12)
Andererseits wird Gott gelobt für die Ernährung von Tieren, die keine Vegetarier sind (Hi 38,41f, Ps 147,9).
Ein völlig ungelenkter Prozess – mit einem gewissen Ausgang?
Es fällt schwer, den fortlaufenden Prozess des Universums im Hinblick auf Gottes ewigen Plan und Ziel als völlig ungelenkt zu verstehen. Polkinghorne bietet dazu aber ein Gedankenexperiment, die Schachspieleranalogie. Dieser Vergleich geht auf William James (Das Dilemma des Determinismus, in: Essays über Glaube und Ethik, 1884, 175ff. ) zurück.
Wenn es auch unvorherbestimmte Entwicklungen gibt, so erreicht Gott sein Ziel, denn welchen Anfängerzug die Schöpfung auch immer macht, Gott als Schachmeister wird dennoch sein Ziel erreichen:
„God can bring about determinate ends, even if they are achieved along contingent paths. There is a metaphor that may be helpful here, even if like all such pictures it is not perfect in every detail. The image is that of the history of creation as a game of cosmic chess, with God the Gand Master and creatures the club players. The club players are free to make whatever moves they like, but the Grand Master will win the game in the end because he understands it in the deep way that enables him to bring about his intended purpose.“ (John Polkinghorne/Nicholas Beale, Questions of truth: fifty-one responses about God, science, and belief, Louisville, Ke., Westminster John Knox Press, 2009, 15)
„… we can believe that God will bring about his purposed ends by contingent means, while always respecting our free will in his generous and perfect love.“ (34)
Eine Antwort – weitere Fragen
Diese Antwort weist das Argument gegen Gott zurück – Aus Liebe gibt Gott der Schöpfung und seinen Geschöpfen Freiheit. Daher ist es nicht möglich, Leid von vorneherein auszuschließen.
Aber weshalb wollte Gott diese Freiheit geben? War sie es wert? Weshalb greift er nicht öfter ein? Diese und weitere Fragen werden in folgenden Beiträgen bearbeitet (und hoffentlich beantwortet).