„Das größere Gute“-Theodizeen
Manche versuchen, das logische Argument zu entkräften, indem sie sagen: Alles Leid führt zu etwas Besserem.
Viele (oder alle?) Versuche, alles Leid als etwas Gutes (durch eine oder mehrere gute Funktionen) zu sehen, laufen auf eine „Greater Good Theodicy“ hinaus. Diese Verteidigung Gottes angesichts des Leides behauptet, dass jedes Leid in jedem Fall zu etwas Besseren führt (vgl. dazu Little, 60-78 und Stosch, 23 und 33.)
So wird das Leid ebenfalls zum Instrument, das nicht so schlimm ist, denn – so wird behauptet – Gott erlaubt alles konkrete Leid um damit etwas konkretes Gutes zu erreichen.
Ein Beispiel für so ein Verständnis wäre es, zu sagen: Gott erlaubt Deinen Unfall, damit Du später jemandem in derselben Situation helfen kannst.“
Probleme mit der „Das größere Gute“-Theodizee
1. Es gibt keine eindeutige Aussage in der Bibel, die das behauptet.
Die Bibelstellen, die gewöhnlich hier angeführt sind, treffen nicht:
- Gen 50,20 ist nur eine Erzählung dessen, was Gott mit dem Bösen in einem speziellen Fall getan hat. Es wird nicht behauptet, dass das in jedem Fall so ist.
- Hiob (1,21) drückt seine Überzeugung aus und spricht nicht vom größeren Guten.
- Römer 8,28 gilt höchstens für Gläubige, eventuell geht es um Leiden durch Verfolgung wegen Glauben an Jesus Christus. Mit Sicherheit wird nicht behauptet, dass „alle Dinge“ gut seien und wir in allem Leiden danach suchen müssten, was dadurch Gutes entsteht.
- Korinther 1,3-6 handelt davon, was Gott (manchmal) tut aber nicht warum.
2. Die Gefahr der verzweifelten Suche nach dem „Guten“.
Es stimmt: Es gibt immer wieder Gläubige, die im Nachhinein etwas Gutes erkennen können, das durch ihr Leid entstanden ist (vgl. z.B. hier). Vorher können wir das aber nicht wissen. Wer anders denkt, steht in Gefahr, verzweifelt nach dem „Guten“ als Trost zu suchen. Wenn es nicht zu erkennen ist, werden viele Menschen bitter. Es ist besser im Leid Trost bei Gott zu suchen, als bei einem möglicherweise durch das Leid ermöglichte Gute.
3. Absurde Konseqzenzen der „Das größere Gute“-Theodizee
- Diese Theodizee ist problematisch für soziale Gerechtigkeit
Wenn Gott das Böse erlaubt, um noch Besseres zu tun, ist es dann richtig, gegen das Böse zu kämpfen? Als absurde Konsequenz folgt: Setz Dich nicht für Arme, Ungeborene, Alte, Kranke oder Sklaven ein, damit durch ihr größeres Leiden etwas größeres Gutes geschieht. (Daran haben sich Gläubige in der Geschichte Gott sei Dank nicht gehalten.)
- Was ist gut? Was ist besser?
Diese Theodizee bietet keine objektiven Maßstäbe für das Gute – wie entscheiden wir, was besser ist? Was ist dann noch gut, wenn z.B. ein Unfall auch gut ist?
Noch schlimmer: Die Welt wäre besser, wenn jemand entführt, vergewaltigt und ermordet würde anstatt „nur“ entführt und ermordet zu werden, weil das Gute, das aus diesem größeren Verbrechen entsteht, ebenfalls größer ist.
Hart verweist in diesem Zusammenhang auf die Kritik von Voltaire an einem Gottesbild, das zwar deistisch ist, letztlich aber auch ein „schwaches Echo“ (Hart, 27, vgl 22) des Gottes, den das Evangelium verkündigt:
„« Tout est bien, dites-vous, et tout est nécessaire. »
Quoi ! l’univers entier, sans ce gouffre infernal,
Sans engloutir Lisbonne, eût-il été plus mal ?“ (Voltaire, Poème sur le désastre de Lisbonne)
„«Alles ist gut, sagt Ihr, und notwendig alles.» Was? Das gesamte Universum, ohne diesen höllischen Abgrund, der Lissabon umschloss, wäre schlechter gewesen?“
Es ist natürlich absurd zu denken, das Universum wäre schlechter gewesen ohne diese Naturkatastrophe.
- Dualismus: Ohne Böses kein Gutes
Diese Theodizee legt nahe, dass Gott das Böse braucht, um seinen Plan durchzuführen. Wenn Gott verantwortlich für das Böse ist, wie passt das zu biblischen Aussagen wie „Gott ist Licht und es ist gar keine Finsternis in ihm“ (1.Johannesbrief 1,5)? Wenn es ein notwendiges Übel gibt, das Gott braucht, um etwas Gutes zu bewirken, soll das bedeuten, dass Gott dieses Gute unmöglich auf andere Weise bewirken hätte können? (Was sagt das über Gottes Allmacht?)
„Wenn Gott das Böse will und es gleichzeitig verurteilt, handelt Gott gegen sein eigenes Wesen und an dem Punkt bricht alles Christentum zusammen.“ (Bruce A. Little, God, Why This Evil? Lanham, Hamilton Books, 2010, 61)
- Zynismus als Ergebnis?
Diese Theodizee könnte einem „Der Zweck heiligt die Mittel“-Denken führen und es wird unklar, was Gläubige noch anstreben oder worum sie Gott bitten sollen. Vielleicht werden sie zynisch:
„Wenn beispielsweise der calvinistische Theologe Paul Helm überlegt, dass wir niemals ausschließen können, dass das Leiden von Kindern ihnen im Letzten zu Gute kommt, zeigt das Beispiel Dostojewskis, wie zynisch und unplausibel seine Überlegungen sind.“ (Klaus von Stosch, Theodizee, Ferdinand Schöningh, Paderborn, 2013, 33)
Fazit
Vielleicht gibt es sinnloses Leid, das nicht direkt von Gott gewollt und genutzt ist? In jedem Fall sollten wir nicht so tun, als könnten wir für jede Leiderfahrung die spezifische Absicht Gottes identifizieren, die er damit verfolgt. (Das ist eine Haltung, die auch die Bibel selbst nahelegt.)
(Zurück zu Das logische Argument des Leids entkräften.)
Orginialzitat
„If God wills evil while at the same time condemning evil, God acts contrary to Himself, and at that point, all of Christianity collapses.“ (Little, 61)