Wie erfahren und begreifen wir Gott und Leid?

Gott vertrauen und das Leben genießen trotz Leid? (Kohelet)

Der Philosoph im alttestamentlichen Buch Kohelet (oder Prediger) diskutiert unsere Leben voller Leid, Unsicherheit und Gefahr. In Kapitel 8 erinnert er uns (wie so oft) daran, dass wir nicht alles wissen (Kohelet 8,6-9):

„Denn in jeder Situation gibt es die richtige Zeit für die richtige Entscheidung. Allerdings leidet der Mensch darunter, dass er im Ungewissen ist, wie sich die Dinge entwickeln werden. Es gibt auch niemanden, der ihm vorhersagen könnte, was die Zukunft bringt.“

Es gibt schon eine richtige Zeit für die richtige Entscheidung in jeder Situation – aber kein Mensch weiß genau, wann der richtige Zeitpunkt da ist (Koh 3,11). Keiner weiß, wie sich Entscheidungen in der Zukunft auswirken. Wir sind Vielem hilflos ausgeliefert (8,8):

„Kein Mensch hat die Macht, dem Wind die Richtung vorzuschreiben oder den Wind festzuhalten. Es ist auch kein Mensch in der Lage, seinen Todestag hinauszuzögern. Während des Krieges kann kein Soldat vom Dienst befreit werden. Und wer das Gesetz übertritt, kann den Folgen nicht entgehen.“

Menschen sind für andere Menschen gefährlich (8,9):

„Das alles wurde mir bewusst, als ich beobachtete, wie es auf der Erde zugeht: Ein Mensch darf über andere herrschen, sodass diese darunter leiden.“

Verbrecher, die nicht nach Gott fragen, kommen scheinbar ungestraft davon, während Gläubige leiden (8,10):

„Und ich sah, dass Menschen, die nie nach Gott gefragt hatten, mit großen Ehren begraben wurden und ihre Ruhe hatten, während andere, die so lebten, wie es dem Willen Gottes entspricht, aus der Nähe des heiligen Tempels vertrieben wurden und in einer fremden Stadt in Vergessenheit gerieten. Auch das ist sinnlos!“

Ganz oft kommt das Gegenteil davon raus, was man sich erhofft (8,14):

„Das ergibt auch keinen Sinn auf dieser Welt: Es gibt Menschen, die leben gerecht und werden trotzdem mit einem Schicksal bestraft, das eigentlich derjenige verdient hätte, der falsch und böse lebt. Ich kann nur sagen, dass das einfach sinnlos ist!“

Kohelet beschreibt ganz realistisch, was jeder sehen kann, der die Welt nicht durch eine rosarote Brille anschaut. Ungerechte Menschen kommen scheinbar ungestraft davon und leben wie Gott in Frankreich. Andere versuchen sich ans Recht zu halten und kommen unter die Räder.

Trotzdem Gott vertrauen

Trotzdem empfiehlt Kohelet Gottvertrauen, das sich in gutem, genießerischem und geduldigen Leben zeigt.

  • Lebe gut!

Lebe so gut wie möglich, lebe ethisch, moralisch gut. Gehorche den staatlichen Gesetzen (8, 2. 5. 8b). Lebe gut! Das ist ein Ausdruck von Vertrauen auf Gott. Wer trotz unserer Lage Gottes ethischen Maßstäben folgt, auch wenn kein schneller Erfolg daraus resultiert, muss ihm aus irgendeinem anderen Grund vertrauen.

  • Lebe genießerisch (8,15)!

„Deshalb singe ich ein Loblied auf die Freude! Es gibt für einen Menschen nichts Besseres auf der Welt, als dass er isst und trinkt und sich an seinem Leben freut. Das wird ihn während seines ganzen Lebens, das Gott ihm gibt, und trotz aller Mühe, die mit seiner Arbeit verbunden ist, begleiten.“

Genießerisch Leben trotz allem Leid? Lebensfreude aus Gottes Hand nehmen? Dazu ist wieder ein starker Grund für Gottvertrauen nötig.

  • Lebe geduldig!

Lebe geduldig – damit ist die Geduld gemeint, die Kohelet baucht, um darauf zu warten, dass Gott doch eines Tages Verbrecher zur Verantwortung ziehen wird. Kohelet vertraut darauf: Die Täter kommen auf dieser Welt vielleicht ungestraft davon, aber es kommt eine Abrechnung, es kommt ein Gerichtverfahren. Gott sieht, wenn wir die Treue brechen (8,2), er wird Verbrechen strafen, auch wenn seine Mühlen oft so langsam mahlen (8,11) und Gottes Licht wird Böse wie Schatten vergehen lassen (8,13). Wegen diesem Vertrauen ist Geduld sinnvoll.

Welche Gründe kennt Kohelet für dieses Gottvertrauen im Angesicht von Leid, Unsicherheit und dem Bösen? (Vielleicht hätte ihm einer von diesen hier geholfen.)

Für ihn ist klar:

Gott ist unergründlich (8,16-17):

„Ich habe versucht, zur Erkenntnis der Weisheit zu gelangen und alles, was auf der Erde geschieht, zu beobachten. Aber selbst wenn sich der Mensch Tag und Nacht keinen Schlaf gönnt, wird er nie alles nachvollziehen können, was Gott auf dieser Erde tut. Wie sehr er sich bemüht, wie sehr er forscht, er wird es nicht ergründen können. Nicht einmal der weiseste Mensch kann es verstehen, selbst, wenn er es behauptet.“

Die Welt ist zu komplex, Gottes Wirken ist zu rätselhaft. Für Kohelet ist Gott nicht ungerecht, sondern unergründlich. Unergründlichkeit ist kein Grund für Misstrauen.