Ob der Gott der Bibel existiert oder nicht, ändert alles im Leben. Mit Gott gibt es für uns eine ewige Perspektive, ohne ihn nur wenige Jahrzehnte. Mit Gott gibt es einen umfassenden Kontext der Geschichte, ohne ihn nur unzusammenhängende Zufälle. Mit Gott gibt es eine Instanz, der wir zur Rechenschaft verpflichtet sein könnten.
Robert Spaemann war Professor für Philosophie in Stuttgart, Heidelberg und München. Er hat diesen Unterschied so ausgedrückt:
„Was glaubt der, der an Gott glaubt? Er glaubt an eine fundamentale Rationalität der Wirklichkeit. Er glaubt, dass das Gute fundamentaler ist als das Böse. Er glaubt, dass das Niedere vom Höheren verstanden werden muss und nicht umgekehrt. Er glaubt, dass Unsinn Sinn voraussetzt und dass Sinn nicht eine Variante der Sinnlosigkeit ist.“ (Robert Spaemann, Der letzte Gottesbeweis, 12-13)
Daher ist es einerseits überhaupt nicht verwunderlich, dass die Argumente für Gottes Existenz seit Jahrhunderten heiß diskutiert werden.
Das sollte uns auch nicht beunruhigen, wie Spaemann in der „Der Welt“ erklärt:
„Daß die Gottesbeweise samt und sonders strittig sind, bedeutet nicht viel. Würde von Beweisen innerhalb der Mathematik eine radikale Entscheidung über die Orientierung unseres Lebens abhängen, wären auch diese Beweise strittig.“ (Robert Spaemann)
(Nur nebenbei: das klingt, als gäbe es keine strittigen Beweise in der Mathematik. Heiße Diskussionen gibt es aber auch hier.)
Rationale Auseinandersetzung über Glaubensfragen?
Andererseits sind die Diskussionen aber sehr verwunderlich, wenn Glaubensdinge Geschmackssache sind. Wenn man davon ausgeht, dass Glauben und Denken nichts miteinander zu tun hat, wozu argumentieren? Wenn man sich auf mystische, rational nicht zugängliche Vorstellungen beruft, weshalb diskutieren?
Warum Christen denken (müssen)
Der Glaube der Christen beruft sich nicht nur auf Gefühle, sondern auch auf historische Ereignisse – von Anfang an. (Hier gibt es einige Beispiele dafür.)
Christen haben das Gebot, Gott mit „ganzem Verstand zu lieben“:
Jesus antwortete: »›Liebe den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, mit ganzem Willen und mit deinem ganzen Verstand!‹ Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Aber gleich wichtig ist ein zweites: ›Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!‹ (Jesus in Matthäusevangelium 22,37-39)
Jesus hat wie die erste Generation der Christen diskutiert und argumentiert. (Mehr dazu hier.)
Deswegen denken Christen.
„Anders als vergleichbare Religionen der damaligen Zeit sucht das Christentum den Dialog mit der antiken Bildung und Kultur und setzt dabei auf die Überzeugungskraft rationaler Argumentation, wenn auch ihre Bemühungen politisch wirkungslos und gesellschaftlich wenig erfolgreich blieben (vgl. Fiedrowicz 2001, 314f.)“ (Bensel 2007, 115)
Sie haben sich für die Vernunft entschieden. Philosophen wurden gläubig und haben die Handwerkzeuge der griechischen Philosophie in ihrer neuen Weltanschauung weiter benützt.
Jesus-Fans waren jahrhundertelang bereit, über Gottes Existenz nachzudenken und darüber zu diskutieren.
Literatur
ABC-Vermutung, https://de.wikipedia.org/wiki/Abc-Vermutung#Beweisversuche 30.6.2020).
Christian Bensel, Wahrheit und Wandel. Alltägliche Wahrheitsstrategien und Argumentationen in apologetischen Texten, VDM – Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2007.
Michael Fiedrowicz, Apologie im frühen Christentum: Die Kontroverse um den christlichen Wahrheitsanspruch in den ersten Jahrhunderten, Schöningh, 2. korrigierte und erweiterte Auflage, Paderborn, München, Wien, Zürich 2001.
Robert Spaemann, Der letzte Gottesbeweis, Pattloch, München 2007.
Robert Spaemann, Der Gottesbeweis. Warum wir, wenn es Gott nicht gibt, überhaupt nichts denken können. Die Welt (26.3.05) (http://www.welt.de/print-welt/article560135/Der-Gottesbeweis.html, 21.1.2016).