Wie wird das Argument zurückgewiesen?

Hiob und Gottes Verteidigung?

Im biblischen Buch Hiob antwortet Gott erst ab Kapitel 38 auf Hiobs Fragen und Klagen. Ist das seine Verteidigung?

Gott antwortet

Nach allem Leid, aller Verzweiflung, aller Versuchung, aller Kurpfuscherei der Freunde, allem Geschwafel, allem sehnsüchtigen Hoffen geschieht es endlich:

Da antwortete der Herr Hiob aus dem Sturm. (38,1)

Gott spricht! Zu einem Menschen! Er tut es zu seiner Zeit, frei, nicht gezwungen durch Hiobs Beschwörung. Er tut es (mit Jakobus 5,11) aus Liebe zu Hiob.

Hiobs tiefste Sehnsucht war: Gott begegnen.

Diese Sehnsucht wird jetzt gestillt.

Gottes Antwort ist aber nicht wie erwartet. Er führt keinen Grund für Hiobs Leid an. Hiob erfährt nie, was alles hinter den Kulissen passiert ist. Es gibt keine Rechtfertigung, sondern viele, viele Fragen, die so beginnen:

Wer ist es, der Gottes weisen Plan mit Worten ohne Verstand verdunkelt? Tritt vor mich hin wie ein Mann! Ich will dir Fragen stellen und du sollst mich belehren. Wo warst du, als ich die Grundfesten der Erde legte? (38,2-4)

Mit diesen Fragen weist Gott Hiob mit sanfter Ironie und Humor zurecht. Er zeigt ihm:

Gott liebt die ganze Welt (Kapitel 38-39)

Die erste Frage lautet:

Wer ist es, der Gottes weisen Plan mit Worten ohne Verstand verdunkelt? (38,2)

Hiob muss sich fragen, ob er Gottes Plan anschwärzt, ohne alle Fakten zu kennen.

In poetischer Sprache zeigt Gott, dass Hiob die Fakten nicht kennt. Gott zeigt Hiob auch, dass Gott die ganze Welt erschafft, erkennt und erhält.

Gott und die Struktur der Welt (38,4-15)

Gott vergleicht sich mit einem Baumeister für die Welt. Das Ergebnis war Freude. Er vergleicht sich mit einer Hebamme der Welt. Das Ergebnis war Sicherheit. Er vergleicht sich mit einem General, der dem Licht den Marschbefehlt gibt und gleichzeitig eine ethische Grundstruktur in die Welt legt.

Statt dieser poetischen Sprache würde er heute vielleicht fragen: Was war vor dem Urknall? Wie wurde die Expansionsrate des Universums eingestellt? Was ist Materie? Was Masse?

Gott und die Enden der Welt (38,16-21)

Wer die Enden kennt und kontrolliert, kontrolliert alles: Das Meer, fundamentale Elemente, Leben und Tod, Licht und Finsternis. Gott war überall, kennt jeden Weg, hat alles gesehen, versteht alles.

Gott und die Erhaltung der unbelebten Welt (38,22-38)

Hagel und Blitze dienen Gott. Er sorgt für Licht, für Regen auch in Wüsten, für Wasser in allen Formen, für Galaxien und das Sonnensystem, für Wetter.

Gott und die Erhaltung der belebten Welt (38,39-39,30)

Er gibt Löwen Fleisch, sorgt für die kleinen Raben. Gott fragt Hiob: Kümmerst Du Dich um trächtige Steinböcke? Ich schon! Ich bin die Hebamme. Würdest Du Wildesel und Büffel so frei und wild machen? Hättest Du den Strauß gemacht? Diesen verrückten Vogel, der gleichzeitig so schnell ist und Respekt einflößt. Gott hat Welt unter Kontrolle, sogar verrückte Vögel. Mach ein Pferd! Lass Geier fliegen!

Auffällig an dieser Tierparade ist, dass es viel um Wüsten geht, um Fleischfresser und Wildtiere. Die stehen nicht im Zentrum für Menschen, sind ihnen teilweise sogar feindlich. Trotzdem liebt Gott sie. Gott ist der Herr über alles. Auch für diese wilden und gefährlichen Ränder unseres Menschenlebens gilt (in Anlehnung an ein Zitat von Abraham Kuyper, der niederländische Staatsmann und Theologen, aus dem Jahr 1880)

Es gibt keinen Quadratzentimeter im gesamten Universum, über den Christus nicht ausruft: „MEIN!“

Es läuft so viel mehr ab

Es läuft so viel mehr ab, als Hiob – und wir – wissen oder verstehen.

Gott stellt sich als weise und mitfühlend vor – so liebt Gott die ganze Welt. Er hat die ganze Welt erschaffen, erkannt und er erhält sie. Gott kümmert sich noch viel mehr um Hiob. Die Frage stellt sich jetzt: Vertraut Hiob Gott? Auch wenn es ihm schlecht geht und er nicht weiß, warum er leidet? Gott fordert Hiob heraus:

Will der Tadler mit dem Allmächtigen streiten? Der Mann, der Gott zurechtweist, soll nun antworten! (40,2)

Wenn Hiob hier mitreden will, Gottes Liebe für die ganze Welt in Frage stellt, soll er es sagen.

Aber Hiob antwortet: Ich bin zu gering, lieber still:

Ich bin ein Nichts – wie könnte ich dir etwas erwidern? Ich lege mir die Hand auf den Mund. (40,4)

Es ist eine völlige Überforderung, Gott zu verstehen. Hiob bleibt aber bei dem, was er gesagt hat. Deswegen spricht Gott noch einmal.

Gott regiert die ganze Welt (Kapitel 40,6-41,26)

Er regiert mit Kraft und Recht – kann Hiob mithalten? Gott spricht die Gefahr an, in selbstgerechten Stolz zu verfallen und macht den ironischen Vorschlag, Hiob kurz seinen Platz zu überlassen. (Schon seit Bruce Almighty kann das ins Auge gehen.)

Tritt vor mich hin wie ein Mann! Ich will dir Fragen stellen und du sollst mich belehren! Willst du mir etwa meine Gerechtigkeit absprechen, mich für schuldig erklären, nur damit du recht behältst? Besitzt du die gleiche Macht wie Gott? Kannst du mit donnernder Stimme reden wie er? Nun, dann schmücke dich mit Hoheit und Pracht, bekleide dich mit Majestät und Herrlichkeit. Lass deinen Zorn hervorbrechen, finde jeden, der stolz ist, und drücke ihn nieder. Siehst du einen Hochmütigen, dann zwing ihn zu Boden, und wirf die Gottlosen an den Ort, wo sie hingehören! Lass sie alle im Staub versinken, bedecke ihr Gesicht mit dem Leichentuch. Dann würde selbst ich dich loben, weil du mit deiner rechten Hand den Sieg errungen hast. (40,7-14)

Wenn Hiob alles das könnte, bräuchte er Gott nicht. Wenn es diese einfach, platte Gerechtigkeit gibt, dann sind wir in Gefahr: Wer könnte so eine schnelle, glatte Gerechtigkeit heil überstehen?

Wenn Hiob die Welt regieren will, dann muss er auch mit Behemot (15-24) und Leviatan (40,25-41,26) fertig werden. Welche Tiere hier genau gemeint sind (Nilpferd, Krokodil, Elefant, Wal?) ist vielleicht unklar, aber im Hintergrund schwingt mit, dass es um unsichtbare Kräfte geht, um mythische Symbole des Bösen. Gott meistert sogar sie.

Gott ist der Meister von jeder Kraft, die hinter Hiobs Leid steht.

Kraft, Recht, Sieg über das Böse

Gott anzuklagen oder seinen Job zu übernehmen ist eine Überforderung. Gott erinnert Hiob daran, dass er gerecht ist, dass er das Böse besiegt.

Hiobs Antwort: Er hat bereits gewusst, dass er den Fall verlieren wird, wenn er Gott anklagt. Er hat auch gewusst, dass Gott zu vertrauen bedeutet, Gutes und Böses anzunehmen.

Nun weiß ich, dass du alles kannst, kein Vorhaben ist für dich undurchführbar. „Wer ist es, der Gottes weisen Plan ohne Verstand verdunkelt?´“Ja, ich habe in Unkenntnis über Dinge geurteilt, die zu wunderbar für mich sind, ohne mir darüber im Klaren zu sein. Du hast gesagt: „Hör zu, ich will reden! Ich will dir Fragen stellen, und du sollst sie mir beantworten.“ Bisher kannte ich dich nur vom Hörensagen, doch jetzt habe ich dich mit eigenen Augen gesehen. Darum widerrufe ich, was ich gesagt habe, und bereue in Staub und Asche. (42,2-6)

Wenn Hiob seine Geschöpflichkeit anerkennt, kann er offen werden für eine neue Beziehung mit Gott.

Gott begegnet uns nicht zu unseren Bedingungen. Wer ihm als gleichberechtigten Partner begegnen will, der kann ihm nicht begegnen, nur einem Zerrbild, weil Gott kein gleichberechtigter Partner ist.

Dass Gott sich trotzdem oft so weit herunterlasst, dass er sich klein macht, auf unsere Stufe kommt, ist etwas anderes. Da sind nicht wir oben, sondern er kommt nach unten. Er macht sich klein: wie Jesus in der Krippe, auf dem Esel, am Kreuz.

Gott begegnet Hiob

Die Begegnung mit Gott gibt Hiob Ehre und macht ihn demütig.

Gott bestätigt Hiob als Knecht Gottes, als von Gott geliebt. Dass Gott kommt, verteidigt und rechtfertig Hiob gegenüber seinen Freunden und Stadt. So erhebt die Begegnung.

Aber gleichzeitig wird Hiobs Bild zurechtgerückt: Wer bin ich? Hiob bekennt, dass er nur Staub und Asche ist. Er erkennt sich, wie er vor Gott ist. Weist allen falsch Stolz zurück.

Hiob bekennt und gesteht,

  • dass Gott allmächtig ist und nicht die Kontrolle verloren hat (2),
  • dass er nicht alle Fakten kennt (3),
  • dass er Gott jetzt viel besser kennt (5),
  • dass er bereut (6).

Hiob wird nicht für spezielle Sünden angeklagt, aber dafür geschumpfen, den Rat Gottes zu verdunkeln (anzuschwärzen) und Gott ungerecht zu nennen. Hiob wird zurechtgewiesen für den Gedanken, Gott gleichberechtigt vor Gericht zu bringen.

Hiob bekennt, dass sein Gott zu klein war. Hiob versteht jetzt nicht sein Leid besser, sondern seinen Gott.

Gott erhebt und erniedrigt. Er veredelt und demütigt. Er macht stolz und bescheiden.

Gott liebt und verteidigt Hiob (42,1-17)

Die Begegnung mit Gott verändert Hiob, alles andere wird zweitrangig.

Jetzt zieht er seinen Selbstwert aus seiner Beziehung zu Gott, nicht aus seiner Rechtschaffenheit. Er gibt seine Forderung auf, auf seine Rechte zu beharren. Die Barriere zwischen ihm und Gott ist weg.

Ein neues Leben beginnt

Es ist unglaublich: Hiob macht Frieden mit Gott ohne Aussicht auf Besserung. Er liebt umsonst.

Er kehrt um, macht Frieden, bekennt, unweise und dumm gesprochen zu haben, jubelt, dass er mitten in seinem Leid endlich Gott begegnet ist – denn Gott war seine größte Sehnsucht.

Er hat versagt. Das bekennt er. Damit fängt ein neues Leben an.

Hiob wird verwandelt (7-9)

Hiob betet großzügig und sofort für seine Freunde. (Hier findet sich ein Motiv, das sich durch die ganze Geschichte der Bibel zieht: der leidende Knecht bringt das Opfer, das Gottes gerechte Strafe gegen das Böse abwendet.)

Hiob in der Gemeinschaft wiederhergestellt (10-17)

Hiob wird in den Augen der Gemeinschaft wieder hergestellt. Viele Menschen können das nur vor dem Thron Gottes erwarten.

Im Fall von Hiob war es notwendig, ganz deutlich an alle Beteiligten das Signal zu senden, das zwischen Hiob und Gott alles stimmt. Die Leute müssen wissen: Es gibt unschuldiges Leid. So macht Gott es klar.

Gott ist dabei großzügig und gnädig. Unverdient kriegt Hiob von allem das Doppelte. (Natürlich gibt es keinen Ersatz für die verstorbenen Kinder!)

Kapitel 42 ist kein Ersatz. Entsetzliches Leid und Trauer bleiben reale Erfahrungen, gehören leider zu unserer Geschichte. In Hiob 42 sind wir noch nicht im Himmel.

Hiobs Begegnung mit Gott: Lehren für das 21. Jahrhundert?
Fragen, Fragen, Fragen

Fragen sind OK! Für viele gibt es Antworten. (Deswegen gibt es Begründet Glauben).

Viele Fragen bleiben offen für Hiob. Gott ist noch unergründlich, aber nicht mehr feindlich. Er spricht. Er kommt. Das tut er auch in unserer Welt und mit uns. (Eine Veranschaulichung dafür ist das Stollengleichnis.)

Eine Antwort auf die Frage nach dem Leid?

Gibt es hier eine Antwort auf die Frage nach dem Leid? Leid bleibt ein Rätsel, aber es ist keine Monstrosität mehr.

Die Antwort auf die intellektuelle Frage des Leides im Buch Hiob ist am ehesten: Da wir nicht alles wissen, können wir nicht wissen, dass Gott eine Welt ohne jegliches Leiden schaffen will. So weisen wir das Argument zurück.

Hiob erkennt, dass er nicht alles versteht, was Gott tut. Trotzdem gibt es Hoffnung und Sicherheit, dass Gott nicht die Kontrolle verloren hat.

Hiob kriegt keine Antwort auf die Frage „Warum…?“ Aber kriegt, was er braucht. Gott hat nicht die Kontrolle verloren. Gott ist ständig am Wirken, hinter den Kulissen. Gott wird ein Happy End machen. Hiob hat keine Erklärung nötig. Er braucht aber immer noch Vertrauen.

Gott vertrauen trotz Leid?

Wenn wir Vertrauen brauchen, woher wissen wir, dass das Vertrauen gerechtfertigt ist, wieso können wir vertrauen?

Gott hat keine Enkelkinder und selbst Hiob brauchte eine persönliche Begegnung mit Gott:

„Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen. (42,5)

Wir brauchen auch eine persönliche Begegnung mit Gott. In Jesus Christus ist sie möglich. Dass das so ist, können vielleicht Argumente plausibel machen. Wenn sie stimmen, sagt Jesus Christus tatsächlich:

Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, zu dem werde ich hineingehen und mit ihm essen, und er mit mir. (Jesus Christus in Offenbarung 3,19).

Jesus klopft geduldig und sanft an. Mit ihm verbunden und vertraut zu sein, hilft uns im Leid. Und es hilft uns auch unsere intellektuellen Frage weiter zu verfolgen!

Originalzitat

„… there is not a square inch in the whole domain of our human existence over which Christ, who is Sovereign over all, does not cry: ‚Mine!'“ Abraham Kuyper,  „Sphere Sovereignty“, in: James D. Bratt, Hg., Abraham Kuyper: A Centennial Reader, Grand Rapids, Wm. B. Eerdmans 1998, 461.