Im biblischen Buch Hiob ringt Hiob nicht nur mit dem intellektuellen Problem des Leides und seinem eigenen Leid – es geht noch um mehr. Aber in den Kapiteln 2,11-37,24 diskutiert er mit seinen Freunden Elifas, Bildad und Zophar darüber und lässt lange Reden von Elihu über sich ergehen. Das intellektuelle Problem führt Hiob (und uns) zurück zu Gott: Wie sehen wir Gott und wie kommen wir ihm nahe?
Worum es im Buch Hiob geht
Das Buch Hiob beginnt, als würde ein Juwelier einen Einbrecher überraschen und sagen: „Haben Sie schon unseren schönsten Juwel gesehen?“ Hiob ist dieser Juwel für Gott. Er ist reich, geachtet, hat zehn glückliche Kinder, ist weise, gerecht, gläubig. (1,8) Aber liebt er Gott oder ist er nur brav, weil Gott ihn beschenkt? (1,9).
Liebe ohne Gegegengeschäft?
Darum geht’s im Buch Hiob. Kann ein Mensch Gott lieben, auch wenn Gott seine Geschenke abzieht? Wenn es nichts bringt? Hiob verliert alles, am Ende von Kapitel 2 sitzt er auf dem Müllplatz vor der Stadt und kratzt seine eitrigen Wunden mit einer Scherbe. In Kapitel 30 erfahren wir, wie ausgestoßen er ist. Junges Gesindel verlacht ihn, singt Spottlieder und spucken auf ihn. Schlaflosigkeit , Alpträume, Fieber und ständige Schmerzen plagen ihn. Sein Denken ist finster.
Die Freunde kommen
Dann kommen die Freunde. Ihre Sternstunde ist in Kapitel 2, sie hören von Hiobs Leid, machen sich auf den langen Weg, kommen, weinen, schweigen bis es aus Hiob herausbricht. Kapitel 3 ist Hiobs „Schrei der Verzweiflung“, „Hiobs Gethsemane“ voller entsetzlichem Leid, grenzenloser Traurigkeit, mörderischem Zorn und Todessehnsucht. Hiob versteht nicht, warum er leidet.
„Warum bin ich nicht bei der Geburt gestorben?“ (3,11) „Warum hat mich meine Mutter gestillt?“ (3,12)
Warum gibt Gott Leben und so viel Leid, das ich nicht verstehe? (23)
Warum?
Warum? Aha, denken die Freunde, da können wir weiterhelfen. 34 Kapitel lang diskutieren sie in drei Runden und werfen sich gegenseitig Reden an den Kopf.
Elifas | Bildad | Zofar | |
1. Rede | 4-5 | 8 | 11 |
Hiobs Antwort | 6-7 | 9-10 | 12-14 |
2. Rede | 15 | 18 | 20 |
Hiobs Antwort | 16-17 | 19 | 21 |
3. Rede | 22 | 25 | – |
Hiobs Antwort | 23-24 | 26 | 27 |
Die Weisheit kennt nur Gott 28 | |||
Hiobs Schlussreden 29-31 |
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Elihu 32-36 |
Es ist wie ein Boxkampf über drei Runden, in der dritten Runde hängt Bildad in den Seilen und sagt nicht mehr viel, Zofar ist schon ganz K.O. und schweigt. Hiob antwortet noch einmal in Kapitel 28 mit einem Loblied auf die Weisheit. Kapitel 29-31 sind Hiobs grandiose Abschlussreden. Plötzlich taucht noch ein vierter Freund namens Elihu auf, plappert ohne Ende und wird von allen ignoriert.
Die einfache Antwort der Freunde
Was ist die Antwort der Freunde auf das Leid Hiobs? Ihre Weisheit ist ganz einfach. Sie haben ein überragendes Bild von Gott: Er ist der heilige, gerechte, allmächtige Herrscher. Weil Gott so ist, bestraft er die Bösen und belohnt die Guten.
- Gott bestraft die Bösen und belohnt die Guten. (4,7-8) (8,3-4)
- Kein Mensch ist gut. (4,17) (25,4-6)
Deswegen ist klar:
- Gott bestraft Hiob für etwas Böses, das Hiob getan hat. (22,5-11) (11,5-6)
Die Lösung ist einfach:
- Wenn Hiob bereut, wird Gott ihm Gutes tun. (5,17) (8,5-7) (11,13-15) (22,21) Das Gute, an das die Freunde denken, ist: Bewahrung vor Leid (5,20-22), Friede. Kinder, hohes Alter, Gesundheit (5,23-27). Freude (8,21) Ansehen, Hoffnung (11,15-19), Gebetserhörung, Gelingen (22,26-30). Alles kann Hiob haben, wenn er nur die Sünde bekennt.
Die Lösung ist simpel, einfach, sauber und falsch.
Die Antwort der Freunde ist falsch.
Woher wissen wir das? Hiob nennt die Freunde so:
„Ihr Lügenschmierer und Kurpfuscher“ (13,4)
Sie können ihm keine Sünde nachweisen – nichts! Auch Gott selbst fällt ein eindeutiges Urteil über die Freunde und ihre Kurpfuscherei. Am Ende sagt er zu Elifas:
„Mein Zorn ist entbrannt gegen dich und deine beiden Freunde: Denn ihr habt über mich nicht Wahres geredet wie mein Knecht Hiob.“ (42,7).
Schon aus Kapitel 1+2 ist bekannt, dass diese Analyse nicht stimmen kann. Hiob leidet nicht als Strafe für seine Sünde.
In Wahrheit sind die Freunde eine Versuchung für Hiob, Gott wegen seiner Geschenke zu lieben.
Hiob und Gott vor Gericht
Hiob richtet sich im Laufe der Debatten mehr und mehr an Gott. Er kann nicht verstehen, warum es den Guten schlecht und den Bösen gut geht. Warum er leidet. Deswegen entwickelt er die Vorstellung, mit Gott vor Gericht zu stehen. Aber das hilft auch nicht, Hiob weiß, dass er vor Gericht keine Chance hat gegen Gott. Gott sorgt schon dafür, dass Hiob verliert. Gott ist stärker. Er hat keine Chance (9,3.15.30-32).
Deswegen braucht Hiob einen Mittler, jemand, der Gott und Mensch gleich ist, der sich dazwischen stellen kann. Aber wer ist das?
„Es gibt zwischen uns keinen Schiedsmann, dass er seine Hand auf uns beide legen könnte.“ (9,33)
Deswegen kann es nur Einen geben, der vor Gericht für Hiob aussagen kann. Der Zeuge, dessen Zeugnis mehr zählt als das Leid von Hiob.
„Siehe, im Himmel ist mein Zeuge und mein Fürsprecher in der Höhe. Meine Gefährten verspotten mich. Zu Gott blickt mein Auge mit Tränen auf, dass er Recht schaffe für einen Mann gegen Gott und für einen Menschensohn gegen seine Gefährten.“ (16,19-21)
Gott soll gleichzeitig Angeklagter, Zeuge, Verteidiger und Richter sein. Niemand anders als Gott selbst kann das.
Hiob kommt immer mehr zu der Erkenntnis: Er kann sich nur an Gott wenden und Gott wird sich für ihn einsetzen:
„Doch ich weiß: Mein Erlöser lebt; und als der Letzte wird er über dem Staub stehen. Und nachdem man meine Haut so zerschunden hat, werde ich doch aus meinem Fleisch Gott schauen. Ja, ich werde ihn für mich sehen, und meine Augen werden ihn sehen, aber nicht als Fremden. Meine Nieren verschmachten in meinem Innern.“ (19,25-27)
Hiobs Sehnsucht nach Gott und Gerechtigkeit
Derselbe Gott, von dem alles Unglück Hiobs kommt ist der, dem Hiob in die Arme laufen will. Derselbe Gott, der ihm weh tut ist der, auf den Hiob hofft.
Trotz Hoffnung beschwört Hiob seine Unschuld.
„So wahr Gott lebt, der mir mein Recht entzogen, und der Allmächtige, der meine Seele bitter gemacht hat – ja, solange noch irgendetwas von meinem Atem in mir ist und Gottes Hauch in meiner Nase -: Wenn meine Lippen Unrecht reden und wenn meine Zunge Trug ausspricht! Fern sei es von mir, euch recht zu geben. Bis ich verscheide, lasse ich meine Rechtschaffenheit nicht von mir weichen.“ (27,2-5)
Hiob bezichtigt Gott hier der Ungerechtigkeit und ruft ihn gleichzeitig als Zeugen auf (27,2-5).
Die Anklageschrift ist fertig:
„Ach hätte ich doch einen, der auf mich hörte, – hier ist meine Unterschrift! Der Allmächtige antworte mir! Wo ist die Klageschrift?“ (31,35)
Da hält man den Atem an. Da muss Gott doch jetzt antworten, oder? Nein, Gott muss nicht.
Elihus Beitrag: ein dramaturgischer Cliffhanger
Elihu taucht auf. Plötzlich ist ein vierter Freund da. Ein zorniger junger Mann explodiert, hält vier endlose Reden, sagt nichts Neues und wird von jedem ignoriert. Er ist ein Schwafler (32,18-20), der dahinplappert (33,31-32). Da kennt man sich nicht aus… Das Beste ist abwarten, bis er sich wieder beruhigt hat.
Elihu ist der Gipfel an Unbarmherzigkeit und Anklage gegen Hiob. Er verharmlost auch noch sein Leid:
„Und nun, weil sein Zorn noch nicht heimgesucht hat und er sich nicht so sehr um Albernheiten kümmert, reißt Hiob für Nichtiges seinen Mund auf, macht ohne Erkenntnis viele Worte.“ (35,15-16)
Hiobs Freunde und Gottes Gerechtigkeit. Lehren für das 21. Jahrhundert?
Hiob ist stark. Sich im Leid gegen alle so zu wehren ist übermenschlich. Er ist schon ganz unten wird auch noch getreten – trotzdem hält er dagegen:
„Mühsame Tröster seid ihr alle!“ (16,2).
Echte Freunde sind Leute, bei denen Leidende sich gefahrlos ausweinen können. Die nicht mit glatten Standard-Antworten und unbarmherzigen Floskeln zutreten.
„Ihr Lügenschmierer und Kurpfuscher“ (13,4)
Hiobs Freunde verbreiten gefährliche Lügen: Jedes Leid ist direkte Strafe von Gott. Dagegen spricht der große Handlungsrahmen der Bibel, in der Gottes Liebe das Gesetz von Ursache und Wirkung durchbricht. Die Freunde kennen diesen Aspekt Gottes nicht, sie haben ein Bild von Gott, das keine Fragen offen lässt. Sie denken, es gäbe immer einfache Antworten.
Glück, Gesundheit und Wohlstand für Gläubige?
Die simple Gleichung der Freunde lautet: Gott will Gutes, das ist Gesundheit und Wohlstand. Hiob fehlen Gesundheit oder Wohlstand? Dann liegt die Ursache bei Hiob. Die Kurpfuscher handeln nach der Maxime römischer Religiosität: „do ut des“ – „Ich gebe, damit du gibst.“ Wer nicht genug gegeben hat, kriegt von den Göttern Saures.
Hiob sagt dazu:
„Wenn ihr sagt … dass die Wurzel der Sache in mir zu finden sei, so fürchtet euch selbst vor dem Schwert!“ (19,28)
Gott sagt zu dieser Theorie, es gäbe immer Glück, Gesundheit und Wohlstand für Gläubige, die in Ordnung sind:
„Mein Zorn ist entbrannt gegen dich und deine beiden Freunde: ….“ (Der HERR in 42,7)
Jesus spricht ebenfalls davon, dass es tatsächlich unschuldiges Leiden gibt (Johannes 9) oder Leiden, das nicht aufgrund von größerer Sünde zuschlägt (Lukas 13).
Kurpfuscher vergessen, dass wir in einer zerbrochenen Welt leben und Gott keine Geschäftsbeziehung, sondern eine Liebesbeziehung mit uns hat.
„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ (19,25)
Hiobs Glaube steht nicht auf Gefühlen, Wohlstand oder Gesundheit. Er erlebt eine Achterbahnfahrt der Gefühle, sein Glaube schwankt zwischen Resignation und Hoffnung, zwischen Todessehnsucht und Gottvertrauen. Dennoch bleibt er dabei: Gott lebt und ist gerecht.
Dass Gott lebt und es gut mit uns meint, sehen wir an Jesus. Er hat die Welt verändert und gelitten wie kein anderer Mensch. Er ist der Mittler und Erlöser und er lebt.