Wie erfahren und begreifen wir Gott und Leid?

Historisches zu „Theodizee“

Theodizee sucht nach Rechtfertigung des Glaubens an den Gott der Bibel im Angesicht dieser Fragen – oder sie versucht sogar, Gott selbst zu rechtfertigen.

Das Wort „Theodizee“ ist eine Zusammensetzung der griechischen Wörter „theós“ (Gott) und „díkē“ (Gerechtigkeit). G.W. Leibniz hat dieses Wort zuerst in seinem „Essay über Theodizee“ (1710) benützt. Warum wurde damals die Frage so virulent, dass ein neues Wort geprägt wurde?

Leid war schon lange bekannt. Die bekannteste Formulierung stammt von Laktanz (ca. 250-320 n.Chr.), der angibt, Epikur zu zitieren:

„Gott will entweder die Übel aufheben und kann nicht;

oder Gott kann und will nicht;

oder Gott will nicht und kann nicht;

oder Gott will und kann.

Wenn Gott will und nicht kann, so ist er ohnmächtig; und das widerstreitet dem Begriffe Gottes. Wenn Gott kann und nicht will, so ist er mißgünstig, und das ist gleichfalls mit Gott unvereinbar. Wenn Gott nicht will und nicht kann, so ist er mißgünstig und ohnmächtig zugleich, und darum auch nicht Gott, Wenn Gott will und kann, was sich allein für die Gottheit geziemt, woher sind dann die Übel, und warum nimmt er sie nicht hinweg?“ (Laktanz, De ira dei, 13,19, https://bkv.unifr.ch/works/108/versions/126/divisions/49450, 18.3.2020)

Wenn die Frage schon so alt ist, wieso wurde sie erst zur Zeit von Leibnitz so schlagkräftig?

Von Jesus Christus zum Gott der Philosophen

Im 17. Jahrhundert wenden sich vermehrt Gläubige von Jesus Christus zum „Gott der Philosophen“, was dem Skeptiker erlaubt, das Problem als hinreichende Begründung für die Aufgabe des christlichen Glaubens anzusehen. Früher war es ein Anstoß zu Nachforschung und Überlegung, aber kein Grund für Unglauben. (Vgl. Alasdair MacIntyre, ‚Is understanding Religion Compatible with Believing?’ in B. R. Wilson (ed.) Rationality (Oxford, Blackwell 1974), 73.)

Ein wichtiges Ereignis in diesem Prozess war das Erdbeben von Lissabon, Allerheiligen 1755:

„Warum hatte das Beben die Hauptstadt eines streng katholischen Landes getroffen, das sich auch für die Verbreitung des Christentums in der ganzen Welt eingesetzt hatte? Und warum überdies am Festtag Allerheiligen? Und warum waren zahlreiche Kirchen dem Beben zum Opfer gefallen, aber ausgerechnet das Rotlichtviertel Lissabons, die Alfama verschont geblieben?“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Erdbeben_von_Lissabon#Philosophische_Auswirkungen)

Goethe beschreibt die Auswirkungen des Bebens auf ihn als 6-jährigen so:

„Der Knabe, der alles dieses wiederholt vernehmen mußte, war nicht wenig betroffen. Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden, den ihm die Erklärung des ersten Glaubens-Artikels so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen. Vergebens suchte das junge Gemüt sich gegen diese Eindrücke herzustellen, welches überhaupt um so weniger möglich war, als die Weisen und Schriftgelehrten selbst sich über die Art, wie man ein solches Phänomen anzusehen habe, nicht vereinigen konnten.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Erdbeben_von_Lissabon#Philosophische_Auswirkungen)