Warum ist für Christen jeder Mensch wertvoll? Wegen der Schande Gottes.
Der literarische Höhepunkt der Evangelien sind die Erzählungen von Ostern: Der menschgewordene Gott wird gekreuzigt, umgebracht, und steht vom Tod auf.
Am Kreuz hat Jesus alles verloren. Tiefer konnte damals kein Mensch sinken. (Sichtbar wird der Hohn und die Schande des Kreuzes zum Beispiel in der ersten Karikatur von Jesus, dem Alexamenos Graffito.) Ein gepflegter Römer hat das Wort „Kreuz“ nicht einmal ausgesprochen.
Das ist der Ort, an dem der menschgewordene Gott stirbt, als Opfer einer religiös-politischen Intrige, verlassen von allen Freunden, gefoltert, verhöhnt. Ein Versager.
Aber die Evangelien behaupten, dass genau dieser Ort der größte Erfolg für Jesus war. Christen glauben, dass am Kreuz Gott selbst völlig unschuldig unser Todesurteil auf sich genommen hat, damit wir leben können. Gott kommt in diese Welt, nimmt unseren Dreck auf sich, und zahlt den Preis dafür. So wird Friede und Harmonie in der Welt wieder möglich.
Edwin Judge, Emertius Professor und Honorary Professorial Fellow in History an der Macquarie University, Sydney, bezeichnet diese Idee als größten Beitrag des christlichen Glaubens: Der Platz des Verlierers ist der Platz des Siegers:
„Der Tod Christi hat der christlichen Tradition und der gesamten Kultur – auf jedem Fall im Westen – für immer eingebrannt, dass der Ort der Niederlage, der Demütigung, des Opfers ein Ort der Erlösung ist. Daher reagieren wir alle in unserer Gesellschaft auf eine authentisch demütige Person. Im Gegensatz dazu war Demut in der klassischen Gesellschaft erniedrigend und ein Zeichen moralischer Minderwertigkeit. Ich meine damit nicht, dass wir alle demütig sind, sondern dass wir es von anderen erwarten und positiv auf demütige Menschen reagieren. Das ist eine der bleibenden Auswirkungen des Evangeliums auf unsere Gesellschaft, dass Demut für uns anziehend ist.“
Wenn der Mensch am Kreuz für Christen diesen Wert hat, dann ändert das den Blick auf jeden Menschen.