Jesus ist auf gewisse Art intolerant. Jesus sagt z.B. zu seinem besten Freund:
„Geh hinter mich, Satan“ (Matthäus 16,23).
Warum? Er hat grad erklärt, dass es nur einen einzigen Weg zu Gott gibt für uns alle. Nur, wenn Jesus in Jerusalem am Kreuz stirbt. Petrus sagt zu ihm: Bitte nicht, das soll nicht geschehen. Petrus denkt sicher, dass es noch einen anderen Weg gibt.
Aber Jesus denkt das nicht. Und dann sagt er „Satan“ zu Petrus. Echt arg, oder?
Diese Exklusivität, diese Intoleranz tut zuerst richtig weh. Jesus ist überzeugt, dass Petrus teuflisch daneben liegt. Und er sagt das auch. Er ist intellektuell intolerant.
Warum lässt Petrus sich das gefallen?
Wirklich erstaunlich ist die Reaktion von Petrus: Er geht nicht beleidigt nach Hause. Bei Jesus muss etwas dermaßen Überzeugendes und Anziehendes zu spüren gewesen sein, dass Petrus sich sogar diese harten Worte gefallen ließ.
Der Jesus der Evangelien ist freundlich, entschlossen, weise, heißblütig, beherrscht, rein, witzig, leidenschaftlich, friedlich, logisch, kreativ, intelligent, bescheiden, völlig unverwelkt (vgl. Reeves 54-55).
Jesus: sozial tolerant
Jesus war sozial so tolerant, dass er geradezu verschrien war. Er hat gern gefeiert, mit allen möglichen Menschen. Jesus hat anscheinend so gern gefeiert, dass seine Gegner ihm vorwerfen: Du bist ein
„Fresser und Weintrinker, ein Freund von Zöllnern und Sündern“ (Matthäus 11,19).
Zöllner waren damals der unterste Abschaum der Gesellschaft. Das ist der Vorwurf gegen Jesus: Du bist ein „Fresser und Weintrinker, ein Freund von Zöllnern und Sündern“.
Jesus war wirklich ein Freund von Sündern. Er hat auch wirklich gefeiert. Es ist kein Zufall, dass er als erstes Wunder 600 Liter besten Wein gemacht hat. Gott ist in Feierlaune. Selbst der Abschaum der damaligen Gesellschaft spürt seine magnetische Anziehungskraft. Jede und jeder konnte sein Freund werden.
Bei ihm bleibt es nicht bei distanzierter Duldung: Er fordert auf, seine Feinde zu lieben und für die zu beten, die einen beleidigen und verfluchen. Und genau so hat er selbst auch gelebt.
Diese extreme soziale Toleranz hat einen Namen: Liebe. Jesus war also extrem sozial tolerant.
Jesus: intellektuell intolerant
Aber er ist nicht intellektuell tolerant. Er sagt nicht zu allem Ja und Amen.
Jesus hat Freunden und Skeptikern reinen Wein eingeschenkt. Wer auf dem Holzweg ist, von dem erwartet er Umkehr und Umdenken zur Wahrheit. Deswegen prangert er Korruption, Heuchelei, Selbstherrlichkeit und Gier an. Er redet ohne Scheu von Sünde.
Ja, er war sogar ein Freund von Zöllnern – das waren die Regierungsspitzel, das war der letzte Abschaum, die haben mit den Römern kollaboriert, die waren habgierige Ausbeuter.
Er war ihr Freund. Aber er hat ihre Habgier, ihre Korruption abgelehnt. Er hat nicht gesagt: Du bist OK. Er hat gesagt: Ich liebe Dich, aber ich lass Dich nicht, wie Du bist, bei Dir stimmt was nicht. (Deswegen nennt er sich einen Arzt für Sünder.)
Diese intellektuelle Intoleranz hat einen Namen: Wahrhaftigkeit.
Und so ist er mit allen umgegangen, auch mit den braven Bürgern. Denen hat er es sogar noch klarer reingedrückt, die haben nämlich oft gedacht, sie wären voll OK. (Jesus hat vor der Gefahr der Religion gewarnt. LINK Gefahr der Religion)
Extrem tolerant, extrem intolerant
Jesus liebt den Sünder, aber nicht die Sünde. Geht das überhaupt? Kann man einen Menschen von seinen Taten und seinem Charakter so trennen?
„Lange kam mir das wie Haarspalterei vor. Denn wie soll man zwischen einem Menschen und seiner Handlungsweise unterscheiden? Viele Jahre später erst ging mir auf, dass es einen Menschen gab, den ich schon immer auf eben diese Weise behandelte: Das war ich selbst. So wenig sympathisch mir auch meine Feigheit, mein Dünkel, meine Habgier waren, ich hörte nicht auf, mich selbst zu lieben. In dieser Hinsicht gab es keine Schwierigkeiten. Mehr noch: Meine Selbstliebe war eigentlich der Grund des Abscheus vor mir selbst. Eben weil ich mich liebte, war es schlimm für mich, immer wieder mitansehen zu müssen, zu welch unrühmlichen Taten ich fähig war.“ (C.S. Lewis, Pardon, ich bin Christ, Brunnen 1977, 96.)
Was C.S. Lewis für sich selbst schaffte, schafft Jesus bei jedem Menschen. Er liebt uns, aber nicht unsere Hirngespinste und katastrophalen Holzwege.
Jesus ist zugleich tolerant und intolerant, er ist ein Fanatiker der Wahrheit und gleichzeitig ein Extremist der Liebe.
Warum? Weil Liebe nicht alles toleriert.
Liebe toleriert nicht alles
In der Geschichte von Jesus hat Gott uns so gemacht, dass wir in seiner unendlichen Liebe die Erfüllung finden. Menschen haben dazu keine Lust und pfeifen auf Gott. Das ist wie vergiftete Pilze zu essen. Das Gift der Selbstliebe zersetzt uns langsam. Weil Gott uns so sehr liebt, kommt er in diese Welt als Mensch. Das ist Jesus, der sagt:
„Ich bin gekommen, damit sie das Leben im Überfluss haben. Ich bin der gute Hirte, der gute Hirte lässt sein Leben für seine Schafe.“ (Johannes 10,10-11)
Er sagt auch:
„Ich bin gekommen um mein Leben als Lösegeld zu geben.“ (Mk 10,45)
Jesus stirbt, denn die Lösung unserer Vergiftung sieht laut Neuem Testament so aus: Jesus saugt dieses Gift selbst in sich auf. Das hat er am Kreuz getan. Das Gift hat ihn umgebracht. Dabei hat er es verdaut, der Tod ist verdaut, er ist wieder lebendig geworden.
Weil er so eine gigantische Liebe hat für uns, gibt er sich selbst, sein Leben her. Und weil wir vergiftet sind, sagt er das so klar.
Deswegen passen diese extreme intellektuelle Intoleranz und soziale Toleranz so gut zusammen.
Liebe und Wahrheit heute
Liebe und Wahrheit, soziale Toleranz und intellektuelle Intoleranz: Beides ist auch heute noch wichtig. Unsere Gesellschaft braucht Menschen, die ohne Aggression, voller Freundlichkeit sagen können: „Ich sehe das anders.“
Wer sich an Jesus Christus orientiert, wird für die Wahrheit einstehen, Menschen lieben und ihnen von Gottes Liebe erzählen. Das wird ohne Aggressivität und Überheblichkeit passieren:
- Bei Jesus geht es nicht darum, was ich leiste, sondern, was er leistet. Das bewahrt vor religiöser Aggressivität und Überheblichkeit.
- Laut Jesus erreichen Menschen Gott nur durch Umkehr, das Abgeben von Macht.
- Das Neue Testament fordert nie dazu auf, mehr Wissen und Frömmigkeit zu erwerben, ohne gleichzeitig in aktiver Nächstenliebe zu wachsen.
- Laut Neuem Testament sind alle Menschen im gleichen Boot. Wir sind wie verschüttete Bergleute, die sich nicht selbst befreien können (vgl. das Stollengleichnis). Aber es wird ein Tunnel gebohrt, damit wir leben. Dann wär es absurd für diese Bergleute zu sagen: Warum gibt es nur einen Weg, warum ist der Weg so eng? Wenn die Sache mit Jesus stimmt, dann ist er für uns der Bohrer, der sich aufgerieben hat, er ist der Tunnel und die Rettungskapsel, die uns zu Gott ins echte Leben bringt.
Wenn die Sache mit Jesus stimmt, dann müssen Christen darüber reden. Oder sollten sie lieber ungerührt zuschauen, wie Menschen sich vergiften?
Mehr:
Mehr zum Thema Fanatismus und wie Christen einem Fanatiker der Liebe, der Demut, des Dienstes, des Vergebens nachfolgen bei Timothy Keller, Warum Gott, Brunnen, Gießen 2010. (11. Auflage 2020), Kapitel 4, „Die Kirche ist für so viel Unrecht verantwortlich“ (78-95), besonders Seite 85:
„Denken Sie einmal an Christen, die Ihnen fanatisch vorkommen. Sie sind überheblich, selbstgerecht, stur, unsensibel und hart. Warum? Nicht, weil sie zu christlich sind, sondern weil sie nicht christlich genug sind. Sie sind fanatisch im Äußern ihrer Meinung, aber nicht fanatisch im Lieben, in der Demut, im Vergeben oder Verstehen – und solch ein „Fanatiker“ war Christus.“
Mehr dazu, warum Christus so anziehend war: Michael Reeves schreibt: Jesus begegnen ist wie einem Vulkan zu begegnen. (34)
„Großzügig und freundlich, fest und entschlossen, er hat immer überrascht. Er war liebevoll unsentimental. Seine Einsicht verunsicherte Menschen und seine Freundlichkeit hat sie für sich gewonnen. Er war wirklich ein Mann von außergewöhnlichen – und außergewöhnlich anziehenden – Gegensätzen. Man konnte ihn einfach nicht festnageln, denn dann würde man aus ihm nur das eine oder das andere machen. Er war heißblütig und menschlich, aber nicht rau. Rein, aber nie langweilig. Ernst, mit Sonnenstrahlen von Witz. Schärfer als geschliffenes Glas, keiner konnte ihn mit Argumenten übertreffen, aber er tat es nie nur um zu gewinnen. Er hatte keine Mängel in sich, doch war er transparent und bescheiden. Er erhob die großartigsten Ansprüche für sich selbst, doch ohne den Hauch von Wichtigtuerei. Er randalierte im Tempel, sprach vom Höllenfeuer, nannte Herodes einen Fuchs und die Pharisäer aufgemotzte Leichen, und doch zweifelst Du nie an seiner Liebe, wenn Du sein Leben liest. Mit seinem Riesenherz hasste er das Böse und fühlte mit den Bedürftigen. Er liebte Gott und er liebte die Menschen. Du siehst ihn an und man muss sagen: ‚Hier ist ein wirklich lebendiger Mensch, der in keiner Weise verwelkt ist, viel vitaler und kraftstrotzender, viel voller und kompletter, viel menschlicher als jeder andere.‘“ (Michael Reeves, Rejoicing in Christ, IVP, Downers Grove, IL, 2015, 54-55).
Mehr zum Abgeben von Macht bei Jesus:
Da rief Jesus alle zwölf zu sich her und sagte: »Ihr wisst: Die Herrscher der Völker, ihre Großen, unterdrücken ihre Leute und lassen sie ihre Macht spüren. Bei euch muss es anders sein! Wer von euch groß sein will, soll euer Diener sein, und wer der Erste sein will, soll allen anderen Sklavendienste leisten. Auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für alle Menschen hinzugeben.« (Markus 10, 42-45)