Was ist überhaupt Toleranz?
Toleranz heißt „Duldsamkeit“ (im Fremdwörterbuch Duden steht: „Entgegenkommen; Duldung, Duldsamkeit“).
Toleranz kommt vom lateinischen tolerare (ertragen, ausharren, erdulden).
Es steckt also die Idee von einer schweren Last dahinter, die man geduldig trägt. Die Last sind andere Menschen und ihre Überzeugungen. Sie sind anders und fremd, vielleicht sogar unangenehm. Toleranz heißt, sie nicht loswerden zu wollen, sondern das Fremde und Andersartige so weit es geht zu erdulden.
Toleranz heißt, andere Menschen und ihre Überzeugungen soweit es geht zu respektieren und akzeptieren.
Es gibt verschiedene Arten von Toleranz. Nehmen wir als Beispiel an, mein Nachbar sagt: „Tischtennis ist das Wichtigste im Leben.“
Legale Toleranz
Legale Toleranz bedeutet: Gesetze erlauben bzw. verbieten es nicht, etwas anderes zu sagen oder zu tun. Die staatliche, gesellschaftliche Ordnung erträgt geduldig verschiedene, widersprüchliche Handlungen und Aussagen. In unserem Beispiel bedeutet das: Für so eine Aussage kommt man nicht ins Gefängnis, selbst wenn man sehr viel Zeit mit Tischtennis verbringt und dauernd darüber redet.
Soziale Toleranz
Soziale Toleranz bedeutet: Beziehungen können positiv gestaltet werden, auch zwischen Menschen, die etwas anderes sagen oder tun. Es gibt nachbarschaftliche, freundschaftliche Beziehungen trotz widersprüchlicher Überzeugungen. In unserem Beispiel bedeutet das: Dieser Mensch kann mein Freund sein.
Intellektuelle Toleranz
Intellektuelle Toleranz bedeutet: Überzeugungen und Gedanken werden respektiert und übernommen, auch wenn sie meinen eigenen Überzeugungen und Gedanken widersprechen. Ich stimme dem anderen, fremden, widersprüchlichen Gedanken zu und handle dementsprechend.
Für unser Beispiel bedeutet das: Um auch intellektuell tolerant zu sein, muss ich jetzt zustimmen: „Ja, Tischtennis ist wirklich das Wichtigste im Leben. Nicht nur für Dich, sondern auch für mich. Und deswegen geh ich los und kauf mir sofort einen richtig guten Tischtennisschläger.“
Wir sehen sofort, dass diese Art von Toleranz zu Problemen führt: Was passiert, wenn ich auf dem Weg ins Sportgeschäft einem Fußballfan begegne? Oder mein Nachbar etwas Schädliches behauptet?
Aber in der Realität gibt es keine intellektuelle Toleranz – und das ist gut so.
Warum es intellektuelle Toleranz nicht gibt
Intellektuelle Toleranz ist äußerst problematisch. Nicht nur, weil sie dazu führt, allem und jedem zuzustimmen. Sie ist auch gefährlich:
Kosmische Heilungskräfte
Nehmen wir an, mein Nachbar würde etwas anderes behaupten: „Ich habe kosmische Heilungskräfte und kann Deinen kleinen Sohn von seiner Blinddarmentzündung heilen. Er muss nicht operiert werden.“
Soll ich diese Überzeugung auch übernehmen? Also nicht nur akzeptieren, dass mein Nachbar das denkt und trotzdem gut auskommen mit ihm (soziale Toleranz)?
Nicht nur froh sein, dass er für seine Überzeugung nicht gleich mit einer Geld- oder Gefängnisstrafe belegt wird (legale Toleranz)?
Sondern wirklich seinem Gedanken zustimmen: „Ja, Du hast wirklich kosmische Heilungskräfte. Heile meinen kleinen Sohn, ich gehe nicht mehr ins Krankenhaus mit ihm und sage die Operation ab.“
Damit gefährde ich das Leben des Kindes.
„2+2=5“
Oder stellen wir uns vor, er behauptet „2 plus 2 ist gleich 5.“
So jemand kann mein Freund sein, er soll nicht gleich ins Gefängnis kommen, aber ich lass ihn nicht meine Buchhaltung machen oder Brücken bauen. Er hat nicht recht. Und das zu sagen, ist nicht intolerant. (Ähnliche Beispiele sind das Bankkonto, Goethe, Buddha und Giftpilze.)
Hier haben wir schon eine Grenze der Toleranz erreicht: Es gibt diese Art von intellektueller Toleranz nicht. Und das ist gut so.
Das Ziel: sozial tolerant, intellektuell intolerant
Es ist gut, sozial tolerant und intellektuell intolerant zu sein. Für unsere Gesellschaft ist es lebensnotwendig, dass wir Menschen haben, die sagen: „Ich sehe das anders.“ Ohne, dass wir gleich aggressiv werden. Es ist wichtig, dass wir in aller Freundschaft und voller Respekt sagen: „Ich sehe das anders.“ Das ist auch nicht überheblich.