Das moralische Argument (für die Existenz Gottes)
Dieses Argument hat folgende Form:
(1) Wenn Gott nicht existiert, dann existieren auch Objektive Ethische Werte (OEWs) nicht.
(2) Das Böse existiert.
(3) Folglich existieren OEWs. (aus 2)
(4) Daher existiert Gott.(aus 3 und 1)
(1), (3) und (4) bilden zusammen einen einfachen und folgerichtigen Modus tollens – der Form nach ist dieses Argument also gültig, wenn seine Prämissen stimmen. Stimmen die Prämissen?
(1) Wenn Gott nicht existiert, dann existieren auch Objektive Ethische Werte (OEWs) nicht.
Der Philosoph Sartre hat das klar gesehen:
„Der Existentialist denkt im Gegensatz dazu: es ist sehr unangenehm, daß Gott nicht existiert, denn mit ihm verschwindet jede Möglichkeit, Werte in einem intelligiblen Himmel zu finden; es kann kein a priori Gutes mehr geben, da es kein unendliches und vollkommenes Bewußtsein gibt, es zu denken; nirgends steht geschrieben, daß das Gute existiert, daß man ehrlich sein soll, nicht lügen darf, denn wir befinden uns ja auf einer Ebene, wo es nichts gibt außer den Menschen. Dostojewski schrieb: ‚Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt.‘ Das ist der Ausgangspunkt des Existentialismus. In der Tat ist alles erlaubt, wenn Gott nicht existiert, und folglich ist der Mensch verlassen, denn er findet weder in sich noch außer sich einen Halt.“ (Jean-Paul Sartre, Der Existentialismus ist ein Humanismus, in: Der Existentialismus ist ein Humanismus und andere philosophische Essays 1943-1948, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 20009, 154-155.)
C.S. Lewis hat bei moralischen Bewertungen, die Menschen vornehmen, gefragt: Welchen Maßstab lege ich an? Dass mich eine krumme Linie stört, deutet auf eine gerade Linie hin – woher kommt diese Vorstellung?
„Mein Argument gegen die Existenz Gottes beruhte auf meiner Erfahrung von der Grausamkeit und Ungerechtigkeit dieser Welt. Woher aber hatte ich diese Idee von gerecht und ungerecht? Man kann eine gekrümmte Linie nicht als solches bezeichnen, wenn einem die Idee der Geraden unbekannt ist. Mit welcher Idee verglich ich diese Welt, wenn ich sie ungerecht nannte? … Gerade als ich dabei war, zu beweisen, daß es Gott nicht gibt – mit anderen Worten, daß die Welt von Grund aus ungerecht ist -, sah ich mich gezwungen, einen Teil der Wirklichkeit – nämlich meine Idee der Gerechtigkeit – als sehr sinnvoll gelten zu lassen.“ (C.S. Lewis, Pardon ich bin Christ, 38)
Ähnlich lautet die Frage von Boethius:
„Daher fragte auch dein Jünger Epikur nicht mit Unrecht: ›Wenn es einen Gott giebt, woher stammt dann das Böse, und woher das Gute, wenn es keinen giebt?!‹“ (Boetius: Die Tröstungen der Philosophie. Leipzig [o.J.], S. 9.)
(Der Text folgt der Übersetzung durch Richard Scheven von 1893. Original: „«Si quidem deus», inquit, «est, unde mala? Bona vero unde, si non est?»“ Trost der Philosophie/Consolatio philosophiae, ed. Ernst Gegenschatz/Olof Gigon, München/Zürich 1969.)
An dieser Stelle bemühen Skeptiker manchmal evolutionäre Psychologie – die uns hier aber nicht weiterhilft (weil es nicht darum geht, wie etwas entstanden ist, sondern was es ist – objektive Werte können nicht entstehen, sondern werden höchstens erkannt. Es geht auch nicht darum, was Menschen derzeit als objektiv richtig betrachten, sondern dass sie es tun.)
(2) Das Böse existiert.
Damit ist gemeint: Es gibt Dinge, die wirklich böse sind, egal was die Gesellschaft oder Einzelne sagen. Einige Beispiele dafür leuchten vielen Menschen ein: Kindesmissbrauch ist immer und überall falsch, egal ob jemand es gut findet. Die Verbrechen der Nationalsozialisten waren böse, und dabei ist es irrelevant, dass viele Menschen es damals anders sahen – die Verbrechen waren böse.
(3) Folglich existieren OEWs. (aus 2)
Wenn es Dinge gibt, die immer und überall böse sind, dann gibt es objektive ethische Werte: Sie sind objektiv böse, immer, überall und unter allen Umständen.
Außerdem führt die Leugnung von OEWs (Objektiven Ethischen Werten) zu praktischen Schwierigkeiten: Wenn es keine OEWs (Objektive Ethische Werte) gibt, an denen wir unser Handeln ausrichten sollten, dann herrscht der Stärkere willkürlich.
Und dann hört sich auch aller ethischer Fortschritt auf – denn es gibt keinen Maßstab mehr für „besser“. Du kannst nichts mehr gegen Ungerechtigkeit und Chaos sagen, es gibt keine Menschenrechte, keinen Internationalen Gerichtshof mehr. Es wäre auch zum Beispiel für Dr. Martin Luther King jr. unmöglich gewesen, von einer besseren Zukunft mit gleichen Bürgerrechen für alle zu träumen.
(4) Daher existiert Gott.
Dieses Argument ist natürlich nicht als seelsorgerliche Hilfe gedacht! Es soll uns sensibel machen, dass das Böse selbst auch zu einem Hinweis auf Gott werden kann.
Wer gegen Leid aufbegehrt, wer sagt: „Das sollte nicht so sein!“, der bezieht sich auf einen Maßstab, den nur Gott bietet.