Stephen Hawking und Gott

Stephen Hawking, Gott und die Wissenschaft

Schwarzes Loch

Bild: wikimedia.org

Die Existenz Gottes widerspricht aus Hawkings Sicht der Wissenschaft. In seinem letzten Buch „Kurze Antworten auf große Fragen“ (kurze Zusammenfassungen hier) geht er ausführlich auf diese große Frage ein .

Seine Sicht auf die Wissenschaft lässt für Gott keinen Platz, keine Zeit und keine Möglichkeit, einzugreifen. Hawking vertritt ein klares Konfliktmodell zu Wissenschaft und Glaube.

Wissenschaft und Religion im Konflikt

Warum gibt es dann immer noch Religion?

Menschen werden sich weiter an Religion

„klammern, weil sie Trost spendet und weil sie der Wissenschaft nicht trauen oder sie nicht verstehen“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 49).

Viele Gläubige in der Spitzenforschung könnten Hawking hier widersprechen.

Doch selbst wenn sie vornehm dazu schweigen, widerlegt ihre Existenz Hawkings Aussage: Diese Forscherinnen und Experten vertrauen und verstehen die Wissenschaften und halten trotzdem an ihrem Glauben fest. Womöglich besteht der krasse Konflikt zwischen Religion und Glaube gar nicht?

Wie ist die Wissenschaft entstanden?

Die Konfliktthese hat auch Auswirkungen auf Hawkings Version der Entstehungsgeschichte der Naturwissenschaft. Gläubige weisen gerne auf den Ursprung der Naturwissenschaft innerhalb der christlichen Weltanschauung hin. (Vgl. Christentum und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft.)

Hawking setzt um 300 v. Chr. mit Aristarch von Samos an, der ein „wissenschaftlicher Pionier“ (S. 50) war.

„Nach einem sorgfältigen Studium des Himmels gelangte er zu einer mutigen Schlussfolgerung: Er hatte erkannt, dass die Finsternis in Wirklichkeit der Schatten der Erde war, der über den Mond wanderte, also kein göttliches Ereignis sich vollzog.“  (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 50)

Aristarch von Samos (Denkmal)

Bild: Denmkal des Aristarch von Samos von Dr. Manuel auf wikimedia.org

Nebenbei bemerkt: Hier leuchtet wieder die Konfliktthese auf: Entweder eine Mondfinsternis ist für Hawking entweder ein natürliches Ereignis oder ein göttliches Ereignis. In Wahrheit schließen beide Perspektiven einander nicht aus.

Hawking legt nahe, dass mit Aristarch die Naturwissenschaft entstand – es geht bei ihm dann mit Albert Einstein weiter (S. 53). Die Jahrhunderte dazwischen überspringt er.

Aristarch, so scheint es, hat irgendwie alles schon erkannt:

„Wie erstaunlich muss diese Erkenntnis gewesen sein: Das Universum ist eine Maschine, die bestimmten Prinzipien oder Gesetzen gehorcht … diese Naturgesetze – wie wir sie heute nennen, zeigen uns, ob wir einen Gott brauchen, um das Universum zu erklären.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 51)

Wie immer wir den Beitrag von Aristarch bewerten: Sein Einfluss blieb minimal.

Erst ungefähr 1800 Jahre nach Aristarch wurde das heliozentrische Weltbild von Nikolaus Kopernikus erneut aufgegriffen“ (wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Aristarchos_von_Samos#Rezeption, Zugriff 26.6.23)

Galileo Galilei als Währung und Gewährsmann

Bild: OneArmedMan auf wikimedia.org

Dazwischen war aber etwas! Gläubige haben die moderne Naturwissenschaft gegründet, z.B. Galileo Galilei: Der Schöpfer,

„der uns mit Sinnen, Vernunft und Verstand ausgestattet hat, will nicht, dass wir den Einsatz derselben aufgeben, indem er uns durch andere Möglichkeiten das Wissen vermittelt, das wir durch ihren Einsatz erlangen können.“ (Zit. n. Lennox 2009, 30)

Woher kommt alles?

Wenn die „Maschine“ da ist und schnurrt, dann können wir erklären, was in ihr passiert. Das erklärt aber nicht, woher die Maschine kommt oder was passiert, wenn jemand in sie eingreift. Dieses Eingreifen scheint für Hawking unvorstellbar zu sein:

„Im Tennis fliegt der Ball immer genau dorthin, wo er  nach der Vorhersage der Gesetze landen muss.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 51–52)

Das stimmt aber nicht: da der Wind weht, wo er will und Vögel, Gegner oder Balljungen manchmal eingreifen, landet der Ball eben nicht immer dort, wo ihn die Vorhersage sieht. Physikalische Systeme sind offen für Eingriffe. Daher sind Wunder möglich.

Materialistischer Determinismus

Die springende Frage lautet: Ist das Universum offen für Eingriffe? Nein, antwortet Hawking ganz klar. Der Grund dafür ist: Die Naturgesetze gelten immer und überall. Sie können

„nicht gebrochen werden – daher sind sie so mächtig und vom religiösen Standpunkt aus betrachtet so brisant.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 52)

Gott kann zwar für Hawking die Gesetze erlassen haben,

„aber er kann nicht eingreifen, um die Gesetze zu brechen, andernfalls wären es keine Gesetze.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 53)

Hängt Gottes Handlungsspielraum wirklich von der Semantik des Wortes „Gesetz“ ab? Sicher nicht.

Ein tieferes Prinzip steckt dahinter: materialistische Determinismus.

Für Hawking spielt noch ein tieferes Prinzip eine Rolle:

„Ich denke, das Universum ist spontan aus nichts entstanden, aber ganz in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen. Dabei ist die physikalische  Grundannahme der wissenschaftliche Determinismus.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 53)

Woher kommt diese Grundannahme des Determinismus?

Das bleibt offen.

Allerdings erwähnt Hawking in seinem Werk ein starkes Motiv, an dieses „Dogma“ (S. 115) zu glauben:

Heisenbergs Unschärferelation (S. 118) und der Informationsverlust in Schwarzen Löchern stören das Festhalten am wissenschaftlichen Determinismus (S. 142). Und wenn er dort nicht mehr gilt,

„… dann könnte der Determinismus auch in anderen Situationen seine Geltung verlieren.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 142)

Was wäre daran problematisch?

„Schlimmer noch – gilt der Determinismus nicht mehr, könnten wir auch unserer Geschichte nicht mehr sicher sein. Die Geschichtsbücher und unsere Gedächtnisse könnten reine Illusionen sein. Die Vergangenheit teilt uns mit, wer wir sind. Ohne sie verlieren wir unsere Identität.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 143)

Das Festhalten am Determinismus könnte also dem psychologischen Motiv entspringen, die Geschichte und die eigene Identität nicht zu verlieren.

Doch ist das überhaupt der Fall? Führt die Aufgabe des materialistischen Determinismus wirklich zu diesen katastrophalen Auswirkungen?

Werden wir durch stures Festhalten am Determinismus nicht gerade daran gehindert, die Geschichte wahrhaftig zu erkennen, wenn Gott an bestimmten Punkten eingegriffen haben sollte – wie Christen es zum Beispiel bei der Auferstehung annehmen?

Literatur

Stephen Hawking, Kurze Antworten auf große Fragen, Klett-Cotta, 2018, siebte Auflage 2021.

John Lennox, Hat die Wissenschaft Gott begraben? Eine kritische Analyse moderner Denkvoraussetzungen, SCM R.Brockhaus, Witten 2009.

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Ähnlich hinderlich für Erkenntnis ist das Prinzip, das hinter Hawkings Diskussion von „Ufo-Sichtungen“ zu stehen scheint. Er sagt:

„Die Berichte über Ufo-Sichtungen können nicht alle auf echten Begegnungen mit Außerirdischen beruhen, da sie sich gegenseitig widersprechen. Doch wenn Sie zugeben, dass einige falsch oder halluziniert sind, ist da nicht die Annahme wahrscheinlicher, dass sie es alle sind, als zu glauben, dass wir tatsächlich von Leuten aus der Zukunft oder von der anderen Seite der Milchstraße besucht worden sind?“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 163)

Hawking verrät uns nicht, wieso das wahrscheinlicher ist. Wenn einzigartige Ereignisse als unwahrscheinlich abgelehnt werden, weil es auch viele unwahre Berichte darüber gibt, können blinde Flecken entstehen.