Stephen Hawkings letztes Buch will „Kurze Antworten auf große Fragen“ liefern. Doch wichtige wichtige wissenschaftliche Fragen bleiben offen.
Ein anderes Ziel?
Hawking mutet den Lesern viele wissenschaftliche Details zu. Nach der Lektüre des Kapitels über schwarze Löcher und ihre möglichen Supertranslationen bleibt die Frage: Wer wird diese Aussagen verstehen? Geht es dem Autor nicht eher darum, eine Geschichte zu erzählen? Diese Geschichte könnte lauten: „Es gab eine Krise für die Wissenschaft. Aber es gibt diese neue Theorie. Die wird uns helfen.“
So stärkt der weltberühmte Kosmologe den Glauben an Problemlösungskompetenz und zukünftigen Erfolge der Naturwissenschaft.
Offene Fragen auf und zwischen den Zeilen
Das Buch präsentiert sich als das Vermächtnis eines berühmten, intelligenten, erfolgreichen, authentischen, liebevollen, tapferen, humorvollen, engagierten, leidenschaftlichen, neugierigen und vorbildlichen Menschen.
Mit diesem scheinbar übermächtigen (aristotelisch verstandenen) Ethos, Pathos und Logos bewirkt Stephen Hawking mit seinem letzten Buch beim Publikum vielleicht zwei Effekte: Er stärkt den Glauben an seine Sicht auf die Wissenschaft und unterminiert den christlichen Glauben an Gott.
Aber dieser Effekt stellt sich nicht automatisch ein. Wichtige existenzielle Fragen werden aufgeworfen, aber nicht beantwortet. Selbst in wichtigen naturwissenschaftlichen Bereichen bleiben Fragen offen. Denn Hawking gibt oft zu, dass seine Aussagen nicht allgemein anerkannt sind, dass Theorien derzeit fehlen, und dass grundlegende Fragen immer noch offen sind.
Big Bang
Hawking rechnet damit, dass wir erst in den nächsten 50 Jahren herausfinden, was beim Big Bang geschah, wie das Leben entstand und vielleicht, ob es noch irgendwo sonst Leben gibt (S. 234). Für den Ausgangszustand des Universums „scheint es Gesetze geben zu können.“ (S. 54) Der Ursprung des Universums „Dürfte schon bald“ klar sein.
„Noch haben wir kein vollständiges Bild, aber ich glaube mehr und mehr daran, dass wir nicht mehr weit davon entfernt sind.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 66)
Genau dieselben Lücken und denselben Glauben an die Lückenfüllerkompetenz der Naturwissenschaft vertrat Hawking bei der Einbindung der „Unschärferelation in Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie“ (S. 78).
Entstehung des Lebens
Auch die Entstehung des Lebens geschah „irgendwie“ (S. 97), kaum „durch Zufallsfluktuationen“ (S. 98), kaum im All (S. 98) und ist im Labor nicht reproduzierbar:
„Im Labor können wir aus nicht lebendem Material keine dieser Nukleinsäuren herstellen. Doch wenn 500 Millionen Jahre zur Verfügung stehen und Ozeane den größten Teil der Erde bedecken, könnten durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die RNA durch einen Zufall hervorgebracht wurde.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 100)
Kein wissenschaftlicher Konsens
Hawking erwähnt andere Meinungen aus Fachkreisen. Beispielsweise zur Frage, ob die Zeit absolut ist:
„Diese Vorstellung herrscht heute noch in den Köpfen vieler Wissenschaftler.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 68)
Hawking vertritt die Theorie, das Universum habe keine Grenze in Raum und Zeit, dabei hilft „ein mathematischer Kunstgriff“ und die Verwendung der „imaginären Zeit“. (S. 80)
Nicht alle Wissenschaftler folgen ihm bei diesen „Kunstgriffen“.
Das „anthropische Prinzip“
Hawking spricht explizit über die unglaublichen Zufälle, die unser Universum lebensfreundlich machen (mehr dazu in diesem Beitrag über das Teleologische Argument). Er warnt aber davor, hier an Gott zu denken und wischt alle Gedanken an einen dahinterliegenden Gestalter mit dem „anthropischen Prinzip“ vom Tisch.
Was versteht Stephen Hawking dem „anthropischen Prinzip“ ?
Er setzt er die entscheidenden Werte als gegeben voraus:
„Das heißt, ich werde die Werte der physikalischen Konstanten als gegeben voraussetzen.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 95)
Zusätzlich weist Stephen Hawking darauf hin, dass wir uns notwendigerweise in einem Universum und auf einem Planeten befinden, die beide so gestaltet sind, dass unser Leben möglich ist.
„… unsere Theorien über das Universum müssten mit unserer eigenen Existenz vereinbar sein, … Dieses Prinzip beruht auf der offensichtlichen Tatsache, dass wir nicht fragen könnten, warum das Universum so fein abgestimmt ist, wenn es nicht für Leben geeignet wäre, …“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 94)
Das von Hawking vertretene anthropische Prinzip erklärt aber weder die Lebensfreundlichkeit unseres Universums, noch unsere tatsächliche Existenz.
Wir fragen weiter nach einer Erklärung der Phänomene. Es reicht nicht, sie einfach als gegeben vorauszusetzen. Warum ist das Leben im Universum möglich und warum ist es entstanden? Diese Fragen lassen sich nicht mit einem Hinweis darauf beantworten, dass wir es ja nicht beobachten hätten können, wenn es anders gewesen wäre und es daher so sein musste.
Dieser Gedanke ist ungefähr gleich hilfreich wie folgender: Ich beobachte einen Schmetterling. Warum flog der Schmetterling vorbei? Er musste! Denn sonst hätte ich ihn ja nicht beobachten können. Das erklärt natürlich gar nichts, auch wenn ich es „Anthropisches Schmetterlingsprinzip“ nennen würde.
Fragwürdige Analogie
Hawking erklärt, das Universum wäre einst so klein gewesen wie ein Proton. Dann sagt er, dass es ebenso wie ein Proton aus einer Quantenfluktuation entstanden sei (S. 59). Er sagt also, dass ein Universum und ein Proton gleich entstehen können, weil sie gleich klein anfangen. Es wäre hilfreich zu erfahren, wieso diese Analogie gültig sein soll.
Selbst im Moment der Entstehung war das Universum doch äußerst anders beschaffen als ein Proton. Außerdem: wenn so was regelmäßig stattfindet, warum beobachten wir nicht laufend die Entstehung von Universen?
„Die Naturgesetze sagen uns nämlich, dass das Universum wie ein Proton aufgetaucht sein kann, ohne Hilfe in Anspruch zu nehmen und ohne Energie zu beanspruchen, aber auch, dass möglicherweise nichts den Urknall verursacht hat. Nichts.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 60)
Dieses „Nichts“ ist aber nicht nichts – es ist ein Quantenvakuum in dem die Naturgesetze gelten.
Es bleiben einige Fragen offen!
Dazu zählen nicht nur unsere tiefsten existenziellen Fragen. Selbst wichtige wissenschaftliche Fragen bleiben offen.
Vielleicht sind die „kurzen Antworten“ von Stephen Hawking doch nicht dazu geeignet, den Glauben an den christlichen Gott zu untergraben?
Literatur
Stephen Hawking, Kurze Antworten auf große Fragen, Klett-Cotta, 2018, siebte Auflage 2021.
John Lennox Buch, Stephen Hawking, das Universum und Gott (Institut für Glaube und Wissenschaft SCM R. Brockhausverlag, 3. Aufl. 2014
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Da Hawkings letztes Buch „Kurzen Antworten auf große Fragen“ keine bahnbrechenden neuen Ergebnisse verarbeitet, können interessierte Leserinnen und Leser immer noch viel über die wissenschaftlichen Aspekte aus dem Buch von John Lennox (2014) erfahren.
Zum Einstieg ist auch dieser kurze Artikel von John Lennox geeignet: Stephen Hawking und Gott, https:www.begruendet-glauben.orgnaturwissenschaftenlennox-stephen-hawking-und-gott.