Stephen Hawking und Gott

Stephen Hawking, Gott und unsere existenziellen Fragen

Bild: Earthrise, NASA Bill Anders, commons.wikimedia.org

Stephen Hawking beschreibt in seinem letzten Buch „Kurze Antworten auf große Fragen“ die Naturwissenschaft als den einzigen Zugang zur Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist vollständig durch Naturgesetze determiniert. Dieser Szientismus lässt unsere tiefsten existenziellen Fragen unbeantwortet.

Existenzielle Probleme des Szientismus

Hawking vertritt eine Position, die man Szientismus nennen könnte. Damit ist gemeint, dass die Naturwissenschaft der einzig zuverlässige Zugang zur Wirklichkeit ist und es nichts gibt, das nicht von irgendeiner Wissenschaft nachgewiesen werden könnte (vgl. z.B. hier.). Daraus resultiert auch die starke Ablehnung von Religion: Religion geht eben von weiteren Zugängen zur Wirklichkeit aus, dazu zählen z.B. Offenbarung, und Ereignisse, die nicht durch Naturgesetze festgelegt wurden.

Szientismus führt aber zu offenen Fragen: Woher kommen ethische Werte? Was ist die Bedeutung von Menschen? Woher können wir auf Rettung hoffen?

Woher kommen ethische Werte?

Hawkings Buch ist voller Ethik. Hawkings Wissenschaft bleibt nicht deskriptiv, sondern wird sofort zu ethischen Aufforderungen:

„Ich möchte mich all denen anschließen, die unmittelbares Handeln bei entscheidenden Herausforderungen unserer globalen Gemeinschaft einfordern.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 28–29)

Aber wie kommen wir vom Sein zum Sollen?

Mühelos gelingt Hawking der Schritt vom Sein zu Sollen und endet in ethischen Appellen. Dass man diesen Übergang nicht spürt, liegt daran, dass er einfach postuliert wird. Allerdings sieht die Philosophie hier einen unüberwindlichen Graben.

Wie kommen wir vom Sein zum Sollen? Das ist eine sehr große Frage, die Hawking nicht thematisiert. Theoretische Physik liefert jedenfalls keinen Beitrag dazu.

Der einzige Anhaltspunkt, woher für Hawking objektive ethische Werte und Pflichten kommen, ist seine Erwähnung des Blicks „auf die Erde vom All aus“ (S. 28). Diese Perspektive nennt Hawking die „große Offenbarung des Weltraumzeitalters“ (S. 28), die ihn zur Einsicht „ein Planet, eine Menschheit“ (S. 28) gebracht hat. So eine Einsicht stellte sich bei vielen Gläubigen allerdings schon etliche Jahrhunderte früher durch die Lektüre der Bibel ein, denn die Bibel sieht objektive ethische Pflichten und Werte in Gottes gutem Wesen begründet. (Mehr dazu in diesem Beitrag über das „Moralische Argument“.)

Bild: Marco Bianchetti auf unsplash.com

Was ist die Bedeutung von Menschen?

Ein ähnlicher Graben wie zwischen Sein und Sollen tut sich zwischen den Elementarteilchen und dem Wert menschlichen Lebens sowie dem Stellenwert menschlichen Bewusstseins und Erkenntnisvermögens auf. Hawking geht von einem hohen Wert für Menschen und die Menschheit aus, aber er erläutert nicht, wie dieser Wert aus der Zusammenballung zufälliger Naturteilchen entsteht.

Ohne geliebte Menschen wäre er nicht nur viel früher gestorben (S. 42), ohne sie ist alles bedeutungslos:

„Doch es wäre ein wahrhaft leeres Universum ohne die Menschen, die ich liebe und die mich lieben. Ohne sie würden mir die Wunder des Kosmos nicht das Geringste bedeuten.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 46)

Hawking fährt gleich im nächsten Absatz fort:

„Im Grunde sind wir Menschen selbst nur Ansammlungen fundamentaler Teilchen der Natur.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 46)

Menschen sind also voller Bedeutung – und bedeutungslos. Denken wir daran,

„wie unbedeutend und zufällig menschliches Leben im Universum ist.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 52)

Er selbst erlebte diese Sinnlosigkeit nach seiner verheerenden Diagnose. Doch dann ging es ihm wieder besser: „Ich begann, mich über alles zu freuen, was ich hatte. Wo Leben ist, da ist auch Hoffnung.“ (S. 35)

Unser Leben ist kostbar:

„Wir haben nur dieses Leben, um den großen Plan des Universums zu würdigen, und dafür bin ich außerordentliche dankbar.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 63)

Jeder Mensch ist wertvoll. Unser westliches Denken wurde so durch die Geschichte von Jesus Christus geprägt, dass uns diese Haltung ganz selbstverständlich vorkommt. Das passt aber nicht zum Weltbild von Stephen Hawking.

Hawking erklärt nicht, wieso wir in diesem unerbittlich deterministischen und zufälligen Universum etwas würdigen oder wem wir dankbar sein sollen – er postuliert es einfach und übergeht den großen inneren Widerspruch seiner Position.

Woher können wir auf Rettung hoffen?

Stephen Hawking sieht klar: Die Menschheit braucht Rettung vor unzähligen Gefahren, die das biologische Leben bedrohen und die geistige Entwicklung Einzelner hemmen. Hawking setzt seine Hoffnung auf zukünftige „Menschen mit Einfluss und Macht“:

„Mögen sie die Kraft haben, die Ziele der nachhaltigen Entwicklung zu erreichen, und nicht aus Eigennutz handeln, sondern im Interesse des Gemeinwohls. Ich weiß nur zu gut, wie kostbar die Zeit ist. Nutzt den Augenblick! Handelt jetzt!“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 29)

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Zugang und Begeisterung für Naturwissenschaft ist dabei unerlässlich:

„Wir müssen sicherstellen, dass diese Generation nicht nur die Möglichkeit, sondern auch den Wunsch hat, sich schon früh und gründlich auf das Studium der Naturwissenschaften einzulassen. So kann sie später ihr Potential entfalten und ein e bessere Welt für die gesamte Menschheit hervorbringen.“ (Stephen Hawking, Kurze Antworten, 233 und fast wortgleich S. 220–221)

Naturwissenschaft wird uns also retten – falls wir überhaupt zu retten sind. Sicher brauchen wir dafür Weisheit (S. 221), um sie richtig einzusetzen oder ihr Zerstörungspotenzial rechtzeitig einzuhegen. Aber woher diese Weisheit kommen wird – außer von inspirierenden Lehrern (S. 226–227) – bleibt unklar.

Für Gläubige ist es einleuchtend, hier auf den Lehrer Jesus Christus hinzuweisen, der weise ist und nachweislich Menschen verändern kann, im Interesse des Gemeinwohls zu handeln.

Drei offene Fragen

Die drei offenen Fragen, die sich aus dem Weltbild von Hawking (Szientismus) ergeben waren Ethik, Menschenwürde und Erlösungshoffnung.

Hawking spricht in seinem letzten Buch „Kurze Antworten auf große Fragen“ viel darüber. Seine Aussagen zu seinem persönlichen Leben, seine Begeisterung für die Menschen und seine Hoffnungen und Ängste tragen im Rahmen der aristotelischen Rhetorik dazu bei, sein Buch mit dem nötigen (aristotelisch verstandenem) Pathos zu erfüllen, um überzeugender zu wirken.

Allerdings geht das nicht nur aufgrund innerer Widersprüche und unbeantworteter wissenschaftlichen Fragen auf Kosten des (aristotelischen) Logos. Stephen Hawkings Szientismus lässt unsere tiefsten existenziellen Fragen unbeantwortet.

Literatur

Stephen Hawking, Kurze Antworten auf große Fragen, Klett-Cotta, 2018, siebte Auflage 2021.