Der Wille ist die Entscheidungsmitte des Menschen. Wie könnte ein guter Umgang mit Willenszweifeln aussehen?
Der Psychiater und Psychotherapeut Raphael M. Bonelli hat ein gutes Bild dafür:
„Der Mensch hat viele Gefühle, eben Bauchgefühle. Die nimmt er sehr stark wahr und die prägen ihn auch auf eine gewisse Weise. Das ist das, was auch genetisch festgelegt ist, zum Beispiel, ob einer ein Choleriker oder ein Melancholiker ist. Der Kopf dagegen ist die rationale Stellungnahme zu dem, was das Bauchgefühl darstellt. Der Kopf fragt also: ‚Ich habe das und das Gefühl. Was sagt denn die Vernunft dazu? Ist das vernünftig oder nicht? Ist es nützlich oder nicht?‘ Zwischen den beiden Polen ist das Herz. Das ist die Entscheidungsmitte des Menschen.“ („Vergebung ist der Königsweg“ – Interview mit Raphael M. Bonelli. Von Norbert Schäfer. Pro-Christliches Medienmagazin. 4/2014, 11)
Manchmal will ich nicht vertrauen. Denn Vertrauen bringt Veränderung. Vertrauen heißt, Kontrolle und Macht abzugeben. Vertrauen heißt, sich zu verlassen. Sich in die Hände eines anderen zu begeben. Manchmal will ich das nicht.
Wenn ich nicht vertrauen will
Und hier sitzt oft der Knackpunkt des Zweifels. (Das ist keine therapeutische oder medizinische Diagnose, sondern eine philosophische.)
Manchmal will ich nicht vertrauen. Denn Vertrauen bringt Veränderung. Vertrauen heißt, Kontrolle und Macht abzugeben. Vertrauen heißt, sich zu verlassen. Sich in die Hände eines anderen zu begeben.
Das gilt in allen Lebensbereichen, zum Beispiel auch in der Politik:
„Aber Vertrauen in der Politik bedeutet auch, jemandem Macht zu überlassen und nur sehr bedingt Einfluss darauf nehmen zu können, was er damit macht, das muss man wollen.“ (Martin Hartmann, DIE ZEIT, No. 34, 14.8.2014)
„… das muss man wollen.“ Manchmal will ich das nicht.
Da kann der Kopf noch so viel wissen und erkennen, da kann ich noch so viel schlafen und sporteln und Musik hören, da geht gar nichts, wenn ich es nicht will.
Das englische Sprichwort drückt das gut aus:
„Convince a man against his will, he’s of the same opinion still.“
Überzeuge einen Menschen gegen seinen Willen, er wird bei seiner alten Meinung bleiben.
Manchmal wollen wir sogar zweifeln. Es erlaubt uns die Dinge in der Schwebe zu halten, uns nicht festzulegen, nichts zu entscheiden.
Manche Zweifel kommen aus dieser Richtung. Ja, ich weiß, dass es richtig und gut ist, zu vertrauen, aber etwas anderes ist mir gerade wichtiger.
Wer bewusst Wahrheit verneint, kann damit negative Gefühle verstärken. Das drückt ein Gedicht von David aus dem Alten Testament so aus:
Denn als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen. (Psalm 32,3)
Der Zusammenhang ist hier wieder der Wille: David wollte die Wahrheit nicht zugeben. Das hat ihn innerlich aufgerieben.
Wer Vertrauen zurückhält, wo es richtig und gut ist, könnte genau das erleben.
Wofür mache ich mich verletzbar?
Wer vertraut, macht sich auch angreifbar, verwundbar. Gut mit Willenszweifeln umzugehen bedeutet zu fragen: Will ich das überhaupt?
Manchmal weiß man es nicht vorher: Soll ich dem Fallschirm vertrauen? Soll ich dieser Person vertrauen? Soll ich mich Gott anvertrauen?
Nicht blind natürlich, nicht naiv, sondern begründet. Aber ohne letzte Gewissheit.
Letztlich ist Vertrauen ein Willensschritt. Das Vertrauen ist eine Praxis, eine Handlung. Will ich vertrauen?
Was hält mich ab?
Wer merkt, dass Willenszweifel der springende Punkt ist, könnte sich diese Fragen stellen:
- Was kostet es mich, zu vertrauen? Was verliere ich, wenn ich vertraue?
- Was hält mich ab? Was kostet es mich, nicht zu vertrauen? Was verliere ich, wenn ich nicht vertraue?
- Was ist mir wichtiger? Was hält mich gefangen? Was will ich nicht zu geben oder abgeben?
Nicht immer ist Vertrauen automatisch gut, deswegen ist es wichtig, sich diese Fragen zu stellen. Ein guter Umgang mit Willenszweifeln sucht nach Antworten auf diese Fragen.
Dabei kann es wieder sehr hilfreich sein, diese Fragen mit anderen Personen zu durchdenken. Gläubigen Menschen wird auch empfohlen, den Kontakt mit Gott zu suchen:
„… durch Gebet, Bibellektüre, Gottesdienstbesuch und das Gespräch mit anderen Menschen. Das ist kein Rezept zur Herstellung oder Erhaltung von Glauben, aber es ist, wenn CA 5 recht hat, das Beste, was wir tun können; denn Gott wirkt durch seinen Heiligen Geist den Glauben wo und wann er will in denen, die das Evangelium hören.“ (Wilfried Härle, Christlicher Glaube zwischen Skepsis und Gewissheit. Materialdienst der EZW. Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen 9/14, EKD Verlag, Hannover 2014, 325-333, 333)
Vertrauen ist letztlich eine Praxis, eine Handlung. Wenn ich die Fragen für mich ehrlich geklärt habe, ist es Zeit für Schritte. Mit der Zeit zeigt sich, ob das Fundament trägt.
Woher kommt die Kraft zum Vertrauen?
Hinter allem steht aber immer die Frage: Warum soll ich überhaupt und grundlegend noch weiter vertrauen? Warum erwarte ich denn, dass es ein Licht am Ende des Tunnels gibt? Nicht für jede Beziehung, manche sind nicht gut, aber für das Leben an sich. Wieso hab ich dem Zweifel noch nicht nachgegeben und bin in einem Meer aus Verzweiflung ertrunken?
Wieso soll ich mich für Vertrauen entscheiden?
Als Christ bin ich überzeugt: Jesus ist in mein Leben eingetreten, er hat angefangen, mich zu lieben und Liebe für ihn zu wecken und mir Gründe dafür klar zu machen. Ich sehe mich immer wieder in einem Bild. In diesem Bild bin ich ein kleiner flacher Stein, der über das Wasser geworfen wird. Der Stein taucht zwar immer wieder ins Wasser, aber weil er so geschickt geworfen wird, springt er noch einmal auf. Und noch einmal. Und noch einmal.
Werde ich schlussendlich untergehen? Das hängt davon ab, wer mich geworfen hat.
Ich glaube – aus vielen verschiedenen Gründen – an einen starken und geschickten Werfer. Er wirft weit genug. Bis ich ankomme, wo er mich haben will.
Weiterlesen:
Wilfried Härle, Christlicher Glaube zwischen Skepsis und Gewissheit. Materialdienst der EZW. Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen 9/14, EKD Verlag, Hannover 2014, 325-333. Wolfgang Stegmüller, Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft. Zweite, verbesserte Auflage, Frankfurt am Main, 1954; Berlin u.a. 21969. Andreas Solymosi und Volker Kessler, Ohne Glauben kein Wissen. ‚Mathematischer Beweis’ der Unvollständigkeit unseres Wissens, Schwengeler, Berneck 1995. Gary R. Habermas, Dealing With Doubt, Moody Press: Chicago (1990), online unter http://www.garyhabermas.com/books/dealing_with_doubt/dealing_with_doubt.htm. Wim Rietkerk, Ich fühle ganz anders, in Ron Kubsch (Hg), Im Zweifel für den Zweifel? Beiträge zur christlichen Apologetik. VKW. Bonn 2007, 151-167. Daniel von Wachter, Schlechte, aber einflussreiche Argumente gegen die Existenz Gottes. In: Ron Kubsch, Hg, Im Zweifel für den Zweifel? Beiträge zur christlichen Apologetik. VKW. Bonn 2007 (19-39). Paul Copan, De-Conversion: Why People Leave the Christian Faith and (Re)Turn to It, https://foclonline.org/talk/de-conversion-why-people-leave-christian-faith-and-return-it. Matthias Clausen, Brauchen wir eine neue Apologetik?, in: Faix, Tobias/ Hofmann, Martin / Künkler, Tobias, Hg., Warum wir mündig glauben dürfen. Wegen zu einem widerstandsfähigen Glaubensleben, Witten (SCM) 2015, 71-79.