Das Gleichnis vom Fremden
Ist es rational, Gott zu vertrauen, auch wenn man zugibt, ihn nicht völlig zu verstehen?
Der englische Philosoph Basil Mitchell hat dazu eine Geschichte erzählt, das Gleichnis vom Fremden („Theology and Falsification“ in Antony Flew und Alasdair Maclntyre, Hg., New Essays in Philosophical Theology, SCM 1955, 103-5.)
Stell Dir vor Du bist in Frankreich im zweiten Weltkrieg, die Nazis haben das Land besetzt und Du möchtest zur Résistance. Ein Fremder spricht Dich in der Bar an, der behauptet, der Chef der Résistance zu sein. Ihr redet den ganzen Abend. Er erklärt Dir welche Pflichten Du hättest, beantwortet alle Deine Fragen.
Du bist beeindruckt, du sagst ja. Wie er gesagt hat, ist Dein Leben in Gefahr. Du kriegst Befehle, oft wirst Du keine Ahnung haben, wie Du damit zum Widerstand gegen die Nazis beitragen wirst. Dauernd bist Du in der furchtbaren Angst, verraten zu werden.
Manchmal siehst Du den Fremden offensichtlich Gutes tun und du denkst, „dem Himmel sei Dank, er ist auf unserer Seite“. Manchmal ist es nicht so offensichtlich. Dann hat er eine Gestapo-Uniform an und verhaftet Widerstandkämpfer. Sie werden abgeführt, die Kinder weinen. Sie und Du wissen nicht, dass die Leute nach einigen Stunden Fahrt freigelassen werden.
Und Du – musst weiter vertrauen und die Befehle ausführen, egal was passiert. „Der Chef der Résistance weiß am Besten, wie wir gegen die Nazis siegen“, sagst Du Dir. Erst nach dem Krieg werden die Geheimnisse offenbart, die wahren Kameraden gerechtfertigt, die Verräter entlarvt und alles macht plötzlich Sinn.
Unergründlich und vertrauenswürdig
So ähnlich ist unsere Situation. Wer Gott vertraut, auch wenn er ihn nicht völlig versteht, ist das nicht automatisch verrückt. Es ist rational, wenn wir zusätzliche gute Gründe haben, Gott zu vertrauen.
Aus christlicher Perspektive gibt es neben vielen Argumenten vor allem Jesus Christus als Grund, Gott zu vertrauen: Er hat seine absolute Macht nicht missbraucht und wird sie nie missbrauchen. Er hat seine absolute Macht eingesetzt, damit er als Baby auf die Welt kommt, ein Menschenleben ohne Schuld vorlebt und für unsere Schuld am Kreuz stirbt. Und er ist wahrhaftig, wirklich und historisch nachprüfbar vom Tod auferstanden.
Daher ist es aus christlicher Perspektive rational, darauf zu vertrauen, dass Jesus lebt und uns gut regiert. Er schenkt nicht nur Lebensfreude, er wird auch für Gerechtigkeit sorgen. Bis dahin werden wir aber Leid – auch unergründliches, unerklärliches Leid – erfahren.