Vertrauen ist also normal. Unser ganzes Leben basiert auf Vertrauen. Damit hören wir auch nicht völlig auf, wenn wir älter werden. Wer mit dem Bus fährt, vertraut dem Busfahrer, wer in ein Haus geht, der Architektin und der Baufirma. Ohne Vertrauen zerbricht die Gesellschaft. Wir brauchen überall Vertrauen.
Vertrauen in Logik und Mathematik?
Auch in der Mathematik geht es nicht ohne Vertrauen. Um Schlüsse ziehen zu können, müssen wir jede Menge Voraussetzungen akzeptieren. Lewis Carroll hat dazu Achilles und die Schildkröte nach ihrem Wettkampf miteinander diskutieren lassen: Achilles konnte der Schildkröte nicht beweisen, dass er gewonnen hatte, weil er dazu immer neue Schlussregeln beweisen müsste. (Lewis Carrol, What the Tortoise said to Achilles, in: Mind 104 (1895), 691–693.)
Um Schlüsse zu ziehen, müssen Schlussregeln vorausgesetzt werden:
„Ferner muß man natürlich, um aus einer Aussage eine andere herleiten zu können, mindestens eine Schlußregel voraussetzen, die man selbst aber nicht beweisen kann.“ (Andreas Solymosi und Volker Kessler, Ohne Glauben kein Wissen. ‚Mathematischer Beweis’ der Unvollständigkeit unseres Wissens, Schwengeler, Berneck 1995, 15)
Der Wissenschaftsphilosoph Wolfgang Stegmüller hat das für Mathematik vorexerziert:
„Eines der Motive … bestand für mich gerade darin, am Beispiel der angeblich exaktesten und voraussetzungslosesten Wissenschaft zu zeigen, daß man ohne Berufung auf Einsicht nicht auskommt; …“ (Wolfgang Stegmüller, Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, 2. Aufl., Springer-Verlag, Berlin 1969, 25, zit.n. Solymosi und Kessler 38)
Wer sich auf Einsicht beruft, muss seiner Einsicht vertrauen. Und so eine Person möchte auch, dass andere dieser oder ihrer eigenen Einsicht vertrauen.
Daher kommt Stegmüller zum Schluss:
Man muß nicht das Wissen beseitigen, um dem Glauben Platz zu machen. Vielmehr muß man bereits an etwas glauben, um überhaupt von Wissen und Wissenschaft reden zu können. (Wolfgang Stegmüller, Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, 2. Aufl., Springer-Verlag, Berlin 1969, 33.)
Vertrauen ist mehr als ein Gefühl
Vertrauen ist Handlung. Vertrauen ist auch eine Entscheidung und eine Praxis. Es wird real in unseren Handlungen.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte aus den Evangelien, in der Jesus auf dem Wasser geht (Matthäusevangelium 14,22-33). Seine Schüler sehen ihn von einem Boot aus und schreien vor Angst. Das ist kein Wunder: wer jemand auf dem Wasser gehen sieht, kann durchaus die Fassung verlieren. Aber einer von ihnen bekommt plötzlich die Idee: Vielleicht geht das bei mir auch? Vielleicht kann ich wegen diesem Jesus auch auf dem Wasser gehen? Und er steigt aus dem Boot.
Vertrauen zeigt sich in unseren Handlungen. Vertrauen gibt es nicht in der Theorie, sondern nur in der Praxis. Wenn man aus dem Boot steigt.