Wo braucht Wissenschaft Glauben?

Was ist Wissenschaft?

Bild:M 74 ("The Phantom Galaxy") von NASA James Webb Space Telescope auf commons.wikimedia.org

Was genau „Wissenschaft“ ist – und was nicht – wird seit langem diskutiert.

Jeder Vorschlag einer Definition oder eines wesentlichen Kriteriums wird bald auf Lücken oder Widersprüche abgeklopft und nicht allgemein akzeptiert. Das gilt auch für Naturwissenschaften.

Oft spielt die gemeinsam und methodische Suche nach begründeter Wahrheit über die Welt eine Rolle. Der Physiker Gernot Münsters beschreibt Wissenschaft so:

„Wissenschaft ist ein gemeinschaftliches Unterfangen mit dem Ziel, im Lichte anerkannten Hintergrundwissens rational akzeptierbare, empirisch oder theoretisch prüfbare Erkenntnisse zu gewinnen, deren Bedeutung über den Einzelfall hinausgeht, und diese Erkenntnisse der Gemeinschaft zu vermitteln.“ (Gernot Münster, Discovering, Inventing, Contriving – What Are Scientists Actually Doing? In: Jan G. Michel (Hrsg.), Making Scientific Discoveries. Brill mentis, Paderborn 2022, 61–74.)

Wissenschaft ist also eine menschliche Tätigkeit, die kulturell verankert ist und von Gruppen betrieben wird. Deswegen ist die Definition eines Soziologen angebracht:

„(Natur-)Wissenschaft ist eine Methode, die in organisierten Bemühungen Naturerklärungen anstrebt, die immer offen für Veränderungen und Korrekturen durch systematische Beobachtungen sind. Anders gesagt besteht Wissenschaft aus zwei Teilen: Theorie und empirische Forschung.“ (Rodney Stark, The Victory of Reason. How Christianity Led to Freedom, Capitalism, and Western Success, Random House, New York, 2006, 12)

So unterschiedlich die beiden Beschreibungen sein mögen, in beiden wird betont:

  • Wissenschaft wird von Gruppen betrieben – diese Gruppen benötigen gegenseitiges Verständnis und Vertrauen.
  • Wissenschaft startet nicht bei null – es gibt immer Voraussetzungen, auch solche, die nicht bewiesen werden können.
  • Wissenschaft nützt Methoden – diese Methoden haben selbst wieder Voraussetzungen, Stärken, Schwächen.
  • Wissenschaft zielt auf Erkenntnis ab – aber sie geht oft über den Einzelfall und sucht nach größeren Zusammenhängen oder Regelmäßigkeiten.

Damit ist klar:

Wissenschaft ist also immer auf einen größeren Rahmen angewiesen: eine Kultur, „Hintergrundwissen“, Forschergemeinschaften – und eine passende Weltanschauung: Welche Weltanschauung passt zur Wissenschaft?

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Seinen modernen Klassiker zur Wissenschaftstheorie nennt Alan Chalmers im Original: „What is this thing called Science?“ – „Was ist diese Sache namens Wissenschaft“. Er schließt sein weltweit verbreitetes Lehrbuch dennoch so:

„Ich bleibe dabei, es gibt nicht den allgemeinen wissenschaftlichen Ansatz und die allgemeine wissenschaftliche Methode, die sich auf alle historischen Stufen ihrer Entwicklung anwenden lassen. “ (Alan F. Chalmers, Wege der Wissenschaft: Einführung in die Wissenschaftstheorie, 6. Auflage, Springer, Berlin u. a. 2007, 197)

Zur Frage, ob nur Menschen aus der Praxis der Wissenschaft darüber urteilen können, was Wissenschaft sei, sagt Chalmers:

„… könnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Sichtweisen von Wissenschaftsphilosophen überflüssig sind … Obwohl es richtig ist, dass Wissenschaftler selbst am besten in der Lage sind, durch ihre praktische Tätigkeit Wissenschaft voranzubringen und in dieser Hinsicht keine Ratschläge von Philosophen benötigen, sind sie doch nicht besonders erfahren darin, einen Schritt von ihrer Arbeit zurückzutreten und die Natur ihrer Arbeit zu beschreiben und zu charakterisieren. Üblicherweise sind Wissenschaftler gut darin, der Wissenschaft zum Fortschritt zu verhelfen, aber nicht besonders gut darin, zu beschreiben, worin dieser Erfolg besteht.“ (Chalmers, 200-201)

Daher ist es angemessen, wie oben, nicht nur einen Physiker, sondern auch einen Soziologen zu zitieren. Das Zitat von Stark lautet im Original:

„Science is a method utilized in organized efforts to formulate explanations of nature, always subject to modifications and corrections through systematic observations. Put another way, science consists of two components: theory and research.“ (Rodney Stark, The Victory of Reason. How Christianity Led to Freedom, Capitalism, and Western Success, Random House, New York, 2006, 12)