Weltanschauungen

Weihnachten ist nicht mehr wie früher!

Weihnachten ist nicht mehr wie früher - Santa am Strand

Bild: Linda Hinton auf Unsplash.com

Weihnachten ist nicht mehr wie früher. Diese Feststellung hören wir oft. Sie stimmt auch, denn Weihnachten hat sich immer weiter verbreitet und verändert. Im Laufe der Zeit hat es sich auch mit immer mehr Mythen, Kitsch und Traditionen angereichert.

Weihnachten weiter verbreitet als früher

Weihnachten ist wahrscheinlich das größte gemeinsame Event der Menschheit. Weihnachten wird nicht nur im Schnee, sondern auch in Australien, China und Indien gefeiert. Weltweit werden unterschiedlich viele Tage zu Feiertagen erklärt. Das heißt aber nicht, dass es in den anderen Ländern keine Rolle spielt.

Bild: Länder mit unterschiedlicher Zahl offizieller Weihnachtsfeiertage von Maphobbyist wikimedia.org

Das Fest breitet sich auch im Kalender aus: Weihnachten fängt immer früher an: Der Kaufrausch war so groß, dass NGOs entstanden, um die Verkäuferinnen zu entlasten mit Aufrufen, schon im November einzukaufen. Ein lobenswertes Vorbild war die britische Queen – sie hat viele Weihnachtseinkäufe bereits am 26. November erledigt – und das war im Jahr 1923!

Aber auch der Werbungsmarkt wurde wohl von Weihnachten übernommen: Es werden dann oft keine Produkte angepriesen, sondern bewegende Filme mit 3 Sekunden verschämt eingeblendetem Logo gezeigt.

Weihnachten: inhaltlich anders als früher

Weihnachten hat sich immer verändert – auch die Elemente, die zum Fest dazugehören:

Geschenke

Geschenke waren früher nicht so wichtig. Was haben die Leute dann zu Weihnachten gemacht? Es ging mehr ums Essen, Feiern, Spielen.

Geschenke für alle gibt es wohl, um dem Nikolaus das Wasser abzugraben. Der katholische Heilige brachte den Kindern am 6. Dezember Geschenke – ein Grund dafür war die Mitgiftspende für drei Töchter, die dem heiligen Nikolaus von Myra zugeschrieben wurde. Höchstwahrscheinlich war es Martin Luther, der dafür sorgte, dass Kinder zu Weihnachten vom „heiligen Christ“ beschenkt wurden.

Seit der Reformation bringt also das Christkind die Geschenke – dieser Jobwechsel geschah in der Hoffnung, dass die Aufmerksamkeit dadurch auf das Kind gelenkt wird, nach dem das Christfest benannt wurde.

Christkind im Struwwelpeter

Bild: Von Heinrich Hoffmann – Christkind im Struwwelpeter, wikimedia.org

Die Besetzung

Die Aufmerksamkeit auf Jesus Christus zu lenken – das hat nicht völlig funktioniert, weil sich das Christkind auch weiterentwickelt hat. Heute ist es ein strahlender Engel, der „artige“ Kinder belohnt:

„Wenn die Kinder artig sind, / Kommt zu ihnen das Christkind./ Wenn sie ihre Suppe essen, / Und das Brod auch nicht vergessen; / Wenn sie ohne Lärm zu machen / Still sind bei den Siebensachen, / Beim Spazierengehn auf den Gassen / Von Mama sich führen lassen, / Bringt es ihnen Gut’s genug / Und ein schönes Bilderbuch.“ (Struwwelpeter)

Der Nikolaus hat sich auch wieder als Santa Claus in die Besetzung des Weihnachtsfestes geschummelt. Ebenso gehören heute Wichtel dazu, wobei oft unklar ist, was sie mit Weihnachten zu tun haben.

Der Baum

Angeblich wurde der Weihnachtsbaum erst mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 Allgemeingut. Vorher war der Baum etwas für Adelige und Reiche, zur Hebung der Moral wurde er im Krieg in Lazaretten und Quartieren aufgestellt und ab dann haben viele Nichtadelige und Arme den noblen und betuchten Glanz in ihre Hütten gebracht durch einen Baum (Klaus Schönberger, Weihnachten: Fest der Liebe, Fest der Zwietracht).

Vielleicht stimmt das, verbreitet war der Baum allerdings schon früher, z.B. in Strassburg regt sich irgendwann zwischen 1642 und 1646 ein Prediger (Johann Conrad Dannhauer) auf:

„Unter anderen Lappalien, damit man die alte Weihnachtszeit oft mehr als mit Gottes Wort begehet, ist auch der Weihnachts- oder Tannenbaum, den man zu Hause aufrichtet, denselben mit Puppen und Zucker behängt, und ihn hernach abschüttelt und abblühen (abräumen) lässt. Wo die Gewohnheit herkommt, weiß ich nicht; ist ein Kinderspiel.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Weihnachtsbaum, 11.12.2019.)

1527 wurde erstmals ein Baum in Mainz Weihnachtsbaum genannt.

Der Weihnachtsbaum startete seine Karriere ziemlich sicher als Paradiesbaum in geistlichen Theateraufführungen. Der 24. Dezember war laut katholischem Kalendarium der Tag von Adam und Eva. An diesem Tag brauchte man einen grünen Baum für das Paradies. So rutschte der Baum dann ins Weihnachtsfest.

Weihnachten: ein heidnisches Fest?

Die Vorstellung, Weihnachten sei voller paganer Elemente, gehört zu den beliebten Weihnachtsmythen. Dieser Mythos ist aber auch eine „Neuerung“. Natürlich kennen viele Religionen Licht-, Geschenks- und Baummetaphern. Aber der Mythos des heidnischen Weihnachtsfestes kommt aus anderen Quellen: Puritanern, die „papistische“ Feiern ablehnten, und Religionskritiker, die nach immer neuen Argumenten gegen den Glauben suchten.

In Wirklichkeit ist die Vorstellung, dass Weihnachten ein Fest ist, das den Heiden gestohlen wurde, genauso eine Mischung aus Verwirrungen und Ungenauigkeiten wie nur irgend etwas, das die Christen selbst über den Festtag glauben. (Tom Holland, The Myth of Pagan Christmas)

Ein Beispiel ist der Zeitpunkt des Festes: Der wurde eben nicht, wie die Mythen sagen, wegen dem antiken Mithras-Kult oder den römischen Saturnalien oder der Wintersonnenwende gewählt.

Der 25. Dezember wurde gewählt, weil christliche Gelehrte die merkwürdige Vorstellung von harmonischen oder symmetrischen Biographien hatten. Sie dachten, dass bei berühmten Personen wichtige Ereignisse am selben Jahrestag stattfinden. So gingen sie davon aus, dass Jesus, der Sohn Gottes, am selben Tag in die Welt eingetreten sei, an dem er auch gestorben sei. Da sie für den Todestag von Jesus Christus den 25. März errechneten, setzten sie auch die Empfängnis am 25. März an. (Der katholische Feiertag Mariä Empfängnis am 8.12. handelt von Maria und ihrer Mutter, nicht von Jesus und Maria.)

25. März + 9 Monate = 25. Dezember. Christliche Geschichtstheorien, nicht heidnische Mythen sind für das Datum verantwortlich. Deswegen feiern wir heute am 25. Dezember – beziehungsweise in der Nacht auf den 25. Dezember.

Alle anderen Mythen und Narrative, die im Laufe der Jahrhunderte mit dem Fest verwoben wurden, von Santa bis Scrooge, von Fußballspielen im Niemandsland bis zum Grinch, halten der Zeit stand, weil sie zum Wesen des Weihnachtsfestes passen. (Tom Holland, The Myth of Pagan Christmas)

Aber was ist dieses „Wesen des Festes“?

Weihnachten ist nicht mehr wie früher.

Diese Aussage stimmt also – und sie gehört auch zu Weihnachten dazu. Es ist leicht, Kommentare wie diesen im Netz zu finden:

„ich hoff ja wirklich, dass weihnachten bald vorbei ist! das hat doch schon lang nichts mehr mit dem weihnachten meiner kindheit zu tun (vor allem gab’s da noch nicht dieses unsägliche wham! lied!). bin heute eher ein grinch und nur durch familiäre zwänge muss ich weihnachten feiern, könnte auch ganz gut ohne leben.“ (Kommentar von „Emiliano Zapata“, https://www.derstandard.at/story/2000111867203/wie-gut-kennen-sie-die-texte-der-weihnachtssongs, 11.12.2019.)

Ob der Autor dieses Online-Kommentars sich bewusst war, dass er ein traditionelles Element des Weihnachtfestes umsetzt?

Santa Claus war doch früher mit dem Schlitten unterwegs

Bild: PublicDomainPictures auf Pixabay.com

Schon Charles Dickens beschwerte sich 1836:

„Als ich ein Bub war, wussten wir noch, worum es bei Weihnachten geht.“

Aber schon 1450 Jahre früher hatte angeblich jeder die wahre Bedeutung von Weihnachten vergessen. Es sei nur mehr

„Feiern bis zum Exzess, Tanzen und das Schmücken der Türen“.

So beschwerte sich Gregor von Nazianz im Jahr 386.

Zur jahrhundertealten Weihnachtstradition gehört also auch die Klage: „Weihnachten ist nicht mehr wie früher!“

Wir begehen es irgendwie falsch.

Was stimmt nicht mit unserer Art von Weihnachten? Was wäre eine „richtige“ Art Weihnachten zu feiern? Mehr dazu in Zauberweihnachten – mit leuchtenden Kinderaugen gegen den Zynismus. Und in Wunderweihnachten  – Sehnsucht und Erfüllung.

MEHR

Originalzitate Tom Holland

In reality, the notion that Christmas is a festival stolen from pagans is quite as much a compound of confusions and inaccuracies as anything believed about the feast day by Christians themselves. (Tom Holland, The Myth of Pagan Christmas)

All the other myths and narratives that, over the course of the centuries, have become a part of the festive fabric, from Santa Claus to Scrooge, from football matches in no mans land to the Grinch, endure because they go with its grain. (Tom Holland, The Myth of Pagan Christmas)

Zitate von Dickens und Gregor

„When I was a boy we knew what Christmas was about.“  (zit.n. Mark Forsyth, Think you know the true meaning of Christmas?)

„Everybody has forgotten the true, religious meaning of Christmas; these days it’s all ‚feasting to excess, dancing, and crowning the doors‘ – or at least that’s what Gregory of Nazianzus said in 386AD.“ (Mark Forsyth, Think you know the true meaning of Christmas?)

Literatur

Christkind (Wikipedia), https://de.wikipedia.org/wiki/Christkind, 18.10.2023.

Mark Forsyth, Think you know the true meaning of Christmas? You’re wrong and you always have been, The Telegraph, 20.12.2016, https://www.telegraph.co.uk/christmas/2016/12/20/think-know-true-meaning-christmas-wrong-always-have/ (11.12.2019)

Tom Holland, The myth of ‘pagan’ Christmas. Why does the idea that this Christian festival was stolen from heathen tradition persist?, Unherd, 25. Dezember 2020, https://unherd.com/2020/12/the-myth-of-pagan-christmas, 8.1.2021.

Klaus Schönberger, Weihnachten: Fest der Liebe, Fest der Zwietracht, 29.11., https://www.derstandard.at/story/2000111527876/weihnachten-fest-der-liebe-fest-der-zwietracht, 11.12.2019.

Weihnachtsbaum (Wikipedia), https://de.wikipedia.org/wiki/Weihnachtsbaum, 18.10.2023.