Better Evidence!
Der englische Philosoph Bertrand Russell wurde gefragt, was er zu Gott sagen würde, wenn er ihm nach dem Tod begegnen würde. Seine Antwort:
„Sir, why did you not give me better evidence?“
„Sir, warum haben Sie mir keine besseren Beweise gegeben?“ (Leo Rosten, Bertrand Russell and God: A Memoir, Saturday Review, 23. 2. 1974, S. 26)
Bertrand Russell hat sich Hinweise, Anhaltspunkte, Beweismittel, Belege, empirische Evidenzen von Gott erwartet. Aber was er vorfand, war ihm zu wenig.
Hat er viele gekannt? Der Philosoph William Lane Craig vermutet, dass die meisten Menschen, die sagen, es gäbe zu wenig Belege, sich nicht mit den Belegen auseinandergesetzt haben. So unglaublich das im Fall Russells klingt: Sein Aufsatz „Warum ich kein Christ bin“ lässt darauf schließen.
Vielleicht geht es bei dieser Art Kritik mehr darum, dass die Belege uns nicht anspringen und niederreißen – oder zumindest wie ein Feuerwerk blenden. So ähnlich wie der nächste Kritiker es will.

Bild: NASA-ESA-AURA-Caltech, Palomar commons.wikimedia.org
Leuchtende Kreuze am Nachthimmel
Der amerikanische Naturwissenschaftler und Buchautor Carl Sagan hat gefragt:
„Warum gibt es nicht jeden Abend ein leuchtendes Kreuz am Himmel?“ (Angeblich stammt diese Frage aus Carl Sagan, Contact, New York: Simon and Schuster, 1985, Seite 170.)
Woody Allens Mama …
Woody Allen hat vorgezeigt, wie das gehen könnte. Im Film „New York Stories“ leidet der Anwalt Sheldon an seiner übermächtigen Mutter. Bei einer Zaubervorstellung verschwindet sie. Sheldon ist erlöst. Aber dann taucht sie plötzlich für alle Menschen sichtbar am Himmel auf und redet mit allen Passanten über Sheldons Probleme. Alle sehen sie. So was könnte doch Gott auch ganz leicht, oder?
… oder eine überwältigende Zeus-Gestalt
Der Philosoph N.R. Hanson hat sich so eine Art „strahlende Zeus-Gestalt“ am Himmel vorgestellt, die für alle sichtbar ist und zu ihm laut und deutlich sagt…
„… so dass jeder Mann und jedes Kind es hört: ‚Ich hab genug von deinen neunmal-klugen Logeleien und Wortklaubereien in theologischen Dingen. Sei versichert, N.R. Hanson, dass ich garantiert existiere.‘“ ( Norwood Russell Hanson, What I Do Not Believe and Other Essays, New York, Humanities Press, 1971, 313-314)
Aber Gott hat sich N.R. Hanson und auch sonst niemandem auf diese Weise gezeigt. Obwohl er es könnte – er könnte leicht Woody Allens Mutter übertrumpfen und Hansons Zeus spielen. Tut er aber nicht.
Keine Zweifel und Bedenken, bitte!
Nietzsche bezweifelt deswegen „Die Redlichkeit Gottes“. Er sagt:
„Ein Gott, der allwissend und allmächtig ist und der nicht einmal dafür sorgt, daß seine Absicht von seinen Geschöpfen verstanden wird, – sollte das ein Gott der Güte sein? Der die zahllosen Zweifel und Bedenken fortbestehn läßt, …“ (Friedrich Nietzsche, Morgenröte, Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1071.)
Existiert er deswegen nicht?
Das Argument der Kritiker
Wenn wir das auf einen gemeinsamen Nenner bringen wollen, dann schaut die Argumentation der Kritiker so aus:
(1) Dieser Gott will sich so zeigen, dass niemand seine Existenz leugnet.
(2) Dieser Gott kann sich so zeigen, dass niemand seine Existenz leugnet.
(3) Dieser Gott hat sich nicht so gezeigt, dass niemand seine Existenz leugnet.
Also: (4) Dieser Gott existiert nicht.
(2) und (3) sind wahr: Wenn es den christlichen Gott gibt, dann kann er sich so zeigen. Er kann leicht leuchtende Kreuze am Nachthimmel blinken lassen oder Woody Allens Mutter übertrumpfen.
Aber er hat es offensichtlich noch nicht getan, sonst würden wir uns dran erinnern. 2.+3. stimmen also.
Aber was ist mit (1)? Ich bin überzeugt, dass der Gott der Christen sich zeigen wird. Aber so überwältigend, wie die Kritiker es verlangen? Oder verlangen die Kritiker zu viel?
Anmerkungen:
Bertrand Russells Antwort ist berühmt – es gibt auch eine aggressivere Antwort, die ich aber nicht belegen konnte. Diese berühmte Variante „Not enough evidence, God, not enough evidence!“ findet sich angeblich in Wesley Salmon, „Religion and Science: A New Look at Hume’s Dialogues“, in Philosophical Studies 33 (1978), S. 176.
N.R. Hansons Geschichte geht im Detail so:
„Suppose, however, that next Tuesday morning, just after breakfast, all of us in this one world are knocked to our knees by a percussive and ear-shattering thunderclap. Snow swirls; leaves drop from the trees; the earth heaves and buckles, buildings topple and towers tumble; the sky is ablaze with an eerie, silvery light. Just then, as all the people of this world look up, the heavens open – the clouds pull apart – revealing an unbelievably immense and radiant-like Zeus figure, towering above us like a hundred Everests. He frowns darkly as lightning plays across the features of his Michaelangeloid face.
He then points down – at me! – and explains, for every man and child to hear: ‚I have had quite enough of your too-clever logic-chopping and word-watching in matters of theology. Be assured, N.R. Hanson, that I most certainly do exist.‘“
(Norwood Russell Hanson, What I Do Not Believe and Other Essays, New York, Humanities Press, 1971, 313-314, zit.n. Michael J. Murray, Why does God hide his existence? in: Steven M. Cahn und David Shatz, Hg, Questions About God: Today’s Philosophers Ponder the Divine. Oxford University Press, Oxford 2002 (47-62), Seite 48.)
Nietzsche formuliert ausführlich so:
„Ein Gott, der allwissend und allmächtig ist und der nicht einmal dafür sorgt, daß seine Absicht von seinen Geschöpfen verstanden wird, – sollte das ein Gott der Güte sein? Der die zahllosen Zweifel und Bedenken fortbestehn läßt, jahrtausendelang, als ob sie für das Heil der Menschheit unbedenklich wären, und der doch wieder die entsetzlichsten Folgen bei einem Sich-vergreifen an der Wahrheit in Aussicht stellt? Würde es nicht ein grausamer Gott sein, wenn er die Wahrheit hätte und es ansehen könnte, wie die Menschheit sich jämmerlich um sie quält? – Aber vielleicht ist es doch ein Gott der Güte, – und er konnte sich nur nicht deutlicher ausdrücken! So fehlte es ihm vielleicht an Geist dazu? Oder an Beredsamkeit? Um so schlimmer!“ (Friedrich Nietzsche, Morgenröte, Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1071.)