Os Guinness, ein christlicher Philosoph und Autor, sagt, dass Zweifel in unserem Menschsein wurzelt:
„Er ist nicht in erster Linie ein christliches Problem, sondern ein menschliches Problem … Die Wurzel des Zweifels liegt nicht in unserem Glauben, sondern in unserem Menschsein.“
„It is not primarily a Christian problem, but a human problem . . . . The root of doubt is not in our faith but in our humanness.“ (Os Guinness, In Two Minds: The Dilemma of Doubt and How to Resolve It, Downers Grove: InterVarsity Press, 1976, 39.)
Wenn es menschlich ist, zu zweifeln, dann ist Zweifel normal. (Das heißt aber nicht, dass etwas mit Ihnen nicht stimmt, wenn Sie von Zweifeln verschont sind.) Wieso ist zweifeln menschlich? Weil Menschen begrenzt sind und einander enttäuschen.
Wir sind begrenzt.
Wir wissen nicht alles und können auch nie alles wissen. Absolute Gewissheit in allen Dingen ist deswegen unmöglich. Das heißt natürlich nicht, dass wir nichts wissen können oder nichts richtig erkennen können. Aber ein Zweifelsrestchen wird irgendwo bleiben.
Aus diesem Blickwinkel wird Skepsis positiv:
„’Skepsis‘ als radikales Fragen/Zweifeln gegenüber vorgegebenen Lehren (Dogmatismus), gegen eigene Sinneswahrnehmungen, eigene logische Operationen und Evidenzen entspricht einer menschlichen und vor allem einer wissenschaftlichen Grundhaltung, die selbstkritisch ist, dem Unterschied zwischen Mensch und Gott Rechnung trägt und ihn beharrlich im Bewusstsein behält.“ (Wilfried Härle, Christlicher Glaube zwischen Skepsis und Gewissheit. Materialdienst der EZW. Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen 9/14, EKD Verlag, Hannover 2014, 325-333, 331.)
Es ist daher gut, zu fragen: Irren wir uns? Es ist wichtig, sich einzugestehen: Wir können uns irren.
Wir enttäuschen einander.
Als Menschen verletzen und enttäuschen wir einander. Wir leben in Beziehungen, aber wir gestalten sie oft als selbstsüchtige Egoisten. Auch so wird der Zweifel gesät – von uns, in anderen. Das Gleiche passiert mit uns von anderen her.
Der Zweifel wird so für uns zu einer Erinnerung daran: wir leben in einer zerbrochenen Welt als zerbrochene Wesen.
Auch die Bibel ist voller Zweifelnder
Gerade gläubige Menschen haben mit der Allgegenwart des Zweifels manchmal ein Problem. Doch die Bibel ist voller Zweifler und Zweiflerinnen:
- Als die hochbetagte Sara, die Frau des Patriarchen Abrahams, von Gott hört, dass sie schwanger wird, da muss sie lachen. Keine Spur von Vertrauen und Zuversicht, nur Zweifel und Lachen. (Genesis 18,10-14)
- Abraham hat mit dem ungläubigen Lachen angefangen (Genesis 17,17).
- Hiobs eisenhartes Vertrauen zerbröselt in Kapitel 3.
- Johannes der Täufer war sich nicht mehr sicher (Matthäusevangelium 11,45. 6-11).
- Der „ungläubige“ Thomas wollte den anderen Jüngern nicht glauben (Johannes 20,24-29).
- „Einige aber zweifelten.“ (Matthäus 28,17). Und das am Ende des Evangeliums!
Der Prophet Jeremia hat zu Gott einmal sogar gesagt:
Du lässt mich im Stich, wie eine Quelle, die vertrocknet! … Verflucht soll der Tag sein, an dem ich geboren wurde. (Jeremia 15,18; 20,14)
Wenn sogar ein Prophet Gottes ehrlich zugibt, dass sein Gottvertrauen total vertrocknet ist, dann darf ich das auch.
Corrie ten Boom gründete während der Nazi-Zeit in den Niederlanden eine Untergrundorganisation um Juden zu retten. Sie sagt:
„Der Glaube ist keine Garantie gegen Zweifel, sondern gegen die Niederlage.“
Auch für diese Glaubensheldin war Zweifel normal.
Zweifel ist also normal. Wenn das schon so bei den Glaubensheldinnen, bei Propheten und Jüngern mit ihrem Vertrauen auf Gott so ist, wie viel mehr dann bei uns und unseren Beziehungen.
Sich das einzugestehen, ist ein erster Schritt im Umgang mit Zweifeln.