Ochs und Esel oder ein Drache? Stille Nacht oder brutale Gewalt? Heile Familie oder Flucht und Gefahr? Zahme Weihnachten oder wilde Weihnachten?
„Rom Coms“ – Romantische Komödien – haben Weihnachten erobert, zumindest die Weihnachtsprogramme von Streaming Diensten und Fernseh-Sendern. Der Eindruck entsteht, bei Weihnachten ginge es vor allem darum, einen warmen Strickpullover anzuziehen und dann mit einer großen Tasse Tee in der Hand allerlei Verwicklungen zu überstehen, bis der tapfere Witwer endlich mit der reichen Hotelerbin zusammenkommt. Romantik ohne eine Spur von wilden Weihnachten.
„Das ist aber nicht das wahre Weihnachten“, weht es aus einem Gebüsch aus Tannenzweigen in Schwaden von Kerzenduft und „Apfel-Zimt-Lebkuchen-Raum-Parfum“. Denn bei Weihnachten geht es seit Alters her um Schnee, Lichter, Kaminfeuer und ein friedliches Familienfest mit viel Zucker, Fleisch und Alkohol. Zahme Weihnachten!
Die Bibel enthält neben den bekannten Geschichten interessanterweise viele Aspekte, die nicht in das romantisch gezähmte Weihnachten passen und daher auch eher übersehen werden.
Wilde Aspekte im christlichen Weihnachtstexten und Interprationen
Das Original-Christkind erlebt wilde Weihnachten. C.S. Lewis, der Oxford-Professor und Autor, hat das in seinen Radioansprachen für die BBC während des 2. Weltkrieges als eine Art versteckter D-Day beschrieben:
„Vom Feind besetztes Gebiet – das ist diese Welt. Das Christentum lässt uns wissen, wie der rechtmäßige König gekommen ist, gleichsam verborgen gelandet ist. Er ruft uns auf, am weltweiten Feldzug der Partisanen teilzunehmen. Wenn man zum Gottesdienst geht, hört man demnach den Geheimsender unserer Verbündeten ab; deshalb ist auch dem Feind so sehr daran gelegen, uns vom Gottesdienst fernzuhalten. Er bedient sich dabei unserer Eitelkeit, Feigheit, Faulheit und unseres intellektuellen Snobismus.“ (C.S. Lewis, Pardon – ich bin Christ, Brunnen Verlag, Basel und Gießen 1977, 43-44)
Weihnachten beginnt damit, dass Gottes Sohn hinter feindlichen Linien in besetztes Gebiet eindringt. Gott wird Mensch. Die Menschwerdung Gottes ist eine Invasion, nicht von vielen Außerirdischen mit Vernichtungswaffen, sondern von einem Überirdischen mit heldenhafter Opferbereitschaft.
Im Johannesevangelium wird Weihnachten mit einem Licht verglichen, das plötzlich aufleuchtet:
„Das Licht strahlt in der Dunkelheit, aber die Dunkelheit hat sich ihm verschlossen.“ (Johannesevangelium 1,5)
„Er kam in seine eigene Schöpfung, doch seine Geschöpfe, die Menschen, wiesen ihn ab.“ (Johannesevangelium 1,11)
Das Licht wird abgelehnt: „Bitte nicht so hell! Wir wollen nicht, dass die Dinge, die wir im Halbdunkel tun und im Schatten denken sichtbar werden.“ Christkind – nein danke! Wilde Weihnachten beginnen mit Ablehnung.
Arm, verfolgt und vertrieben – wilde Weihnachten sozial und politisch
Diese Ablehnung hat ökonomische Dimensionen. Gott landet in einer ärmlichen Familie. Als seine Eltern ein vorgeschriebenes Opfer im Tempel bringen, können sie sich nur die Sparvariante leisten:
„Ist sie zu arm, um ein Schaf zu opfern, so soll sie zwei Turteltauben oder zwei andere Tauben nehmen, …“ (Levitikus 12,8)
„Da brachten die Eltern das Kind in den Tempel nach Jerusalem, um es Gott zu weihen. … Zugleich brachten sie das Reinigungsopfer, wie es im Gesetz des Herrn vorgeschrieben ist: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.“ (Lukasevangelium 2,22-24)
Wilde Weihnachten, Gott kommt in seine Welt und ist arm.
Politisch wilde Weihnachten
Außerdem muss er fliehen. In Judäa regiert König Herodes der Große. Er hatte ständig Sorgen um seinen Thron. Jetzt hört er von einem „neugeborenen König der Juden“ (Matthäusevangelium 2,2) Herodes war nicht immer König. Er wurde es erst römischer Hilfe. Als Unterstützer Oktavians, dem späteren Kaiser Augustus, durfte er König bleiben. Aber was war mit der Nachfolge? Die regelte er unter anderem durch die Hinrichtung von zwei seiner eigenen Söhne. Das hat Kaiser Augustus angeblich dazu gebracht zu sagen:
„Bei Herodes ist es besser, sein Schwein (griechisch hys) zu sein, als sein Sohn (griechisch hyios).“ (Macrobius, Saturnalia 2,4,11)
Macrobius, der selbst Heide war, berichtet diesen Ausspruch im Zusammenhang mit dem Kindermord des Herodes in Bethlehem.
„Als er [Augustus] hörte, dass unter den bis zu zweijährigen Knaben, die Herodes, König der Juden, in Syrien töten ließ, auch sein eigener Sohn war, sagte er: Bei Herodes ist es besser, sein Schwein zu sein als sein Sohn.“ (Macrobius, Saturnalia 2,4,11)
Davon hören wir sonst nur bei Matthäus, der über König Herodes berichtet:
„… Er befahl, in Betlehem und Umgebung alle kleinen Jungen zu töten, die zwei Jahre und jünger waren. …“ (Matthäus 2,16)
Dass es nur diese beiden Hinweise auf diese extreme weihnachtliche Gewalt gibt, heißt nicht, dass das nicht passiert ist.
Dieses grauenhafte Weihnachten brachten das Originalchristkind zur Flucht nach Ägypten. Gott wuchs als Flüchtling in Ägypten auf. Wildes Weihnachten, das von Unterdrückung, extremer Gewalt und Lebensgefahr erzählt.
Drachentöter und Teufelsvernichter – wilde Weihnachten spirituell
Wilde Weihnachten spielen sich in der spirituellen Dimension ab. Dabei geht es um den Kampf gegen das Böse, das die Welt besetzt hält.
Dieser Kampf ist blutig und brutal. Die Johannesoffenbarung blickt hinter die Kulissen und erzählt eine ungewöhnlich wilde Weihnachtsgeschichte:
Darauf zeigte sich am Himmel eine gewaltige Erscheinung: Es war eine Frau, die war mit der Sonne bekleidet und hatte den Mond unter ihren Füßen und trug auf dem Kopf eine Krone von zwölf Sternen. Sie stand kurz vor der Geburt und die Wehen ließen sie vor Schmerz aufschreien. (Offenbarung 12,1-2)
Nicht allein Maria, sondern alle Menschen im Bund mit Gott.
Johannes sieht hier nicht eine konkrete Frau, sondern ein „Zeichen“, eine „Erscheinung“. „Sonne“, „Mond“ und „zwölf Sterne“ deuten zunächst auf die Familie von Jakob (Genesis 37,6), mit der Gott einen Vertrag hat. Später zählen auch die Menschen dazu, „die Gottes Gebote befolgen und festhalten an dem, wofür Jesus als Zeuge einsteht.“ (Offenbarung 12,17)
Die Frau, die Johannes sieht, ist ein Symbol für die Gemeinschaft der Menschen zu allen Zeiten, die mit Gott im Bund sind.
Dann zeigte sich am Himmel eine andere Erscheinung: ein großer, feuerroter Drache mit sieben Köpfen und zehn Hörnern. Jeder Kopf trug eine Krone. Mit seinem Schwanz fegte der Drache ein Drittel der Sterne vom Himmel und schleuderte sie auf die Erde. Er stand vor der Frau, die ihr Kind gebären sollte, und wollte es verschlingen, sobald es geboren wäre. (Offenbarung 12,3-4)
Nicht Ochs und Esel, sondern ein Drache.
Johannes sieht den Drachen, groß, feuerrot, er hat große Macht („Köpfe“), Autorität („Kronen“) und Kraft („Hörner“). Mit seiner Kraft zettelt er einen Krieg der Sterne an, Star Wars zu Weihnachten.
Der Drache ist „die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt“ (Offenbarung 12,9). Er ist das personifizierte Böse: alt, stark, mächtig. Und er will das Kind fressen. Das Kind ist sein wahrer Feind. Nicht die Engel, gegen die er später in 12,7 kämpft. Nicht die Frau und alle ihre Nachkommen, die er weiterhin verfolgt. Nein, das Kind ist sein größter Feind.
Ein Baby.
Das wilde Weihnachtsevangelium der Johannesapokalypse
Offenbarung 12 wurde auch schon „das Weihnachtsevangelium nach Johannes“ genannt. Es gibt uns eine wichtige, andere Perspektive auf Weihnachten:
Statt dem Stern von Bethlehem wird ein Drittel der Sterne ausgelöscht. Die Engel singen nicht, sondern kämpfen. Die Nacht ist nicht still, sondern gefährlich. Statt Friede auf Erden: Krieg im Himmel, Leid und Verfolgung auf der Erde. Statt festlichem Überfluss: Wüste. Kein Ochs und Esel – sondern ein Drache.
Das Baby, das König wird
Die Frau brachte einen Sohn zur Welt, der alle Völker der Erde mit eisernem Zepter regieren wird. Das Kind wurde sofort nach der Geburt weggenommen und zu Gott, zum Thron Gottes, gebracht. Die Frau aber flüchtete in die Wüste; … (Offenbarung 12,5-6)
Hier wird endlich der versprochene Sohn geboren, den Jesaja vorhergesagt hat (Jesaja 7,14). Dieser Sohn ist der Messias, von dem schon Psalm 2 spricht, um das klar zu machen, wird hier Psalm 2,8-9 zitiert. Das Kind beendet die feindliche Besatzung und richtet Gottes gute Herrschaft wieder auf. Der eiserne Stab zeigt, dass seine Regierung stark und unzerbrechlich ist. Aber seine Regierung ist auch gut: er hütet, er weidet die Menschen wie ein guter Hirte.
Das Kind ist also Jesus Christus.
Der Kampf beginnt – wilde Weihnachten und wohin das führt
Der König kommt in die besetzte Welt um „die Werke des Teufels zu vernichten“ (1. Johannesbrief 3,8).
Das haben wir bitter nötig. Ein Blick in die Nachrichten zeigt, dass etwas nicht stimmt. Wir sehen nicht nur menschenverachtende Kriege oder schamlose Korruption in Regierungen. Wir sehen auch Schlagzeilen aus der Nachbarschaft: „Mordversuch im Fitnessstudio“, „Ehemann erstochen“, „Polizist behielt Geld von Strafmandaten“.
Es stimmt etwas nicht mit der Welt und mit uns. Eine dunkle Macht wirkt in unseren Gedanken.
Daher kommt Gott selbst, um etwas dagegen zu unternehmen.
Gott, der Sohn, ist der Schlangenzertreter.
Da sprach Gott, der HERR, zu der Schlange: »… Von nun an setze ich Feindschaft zwischen dir und der Frau und deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen. Er wird dir den Kopf zertreten und du wirst ihn in seine Ferse beißen.« (Genesis 3,14-15)
Er bekämpft das Böse und besiegt es, auch wenn es ihm Leid bringt.
Gott, der Sohn, ist der Absteiger.
Im Gehorsam gegen Gott erniedrigte er sich so tief, dass er sogar den Tod auf sich nahm, ja, den Verbrechertod am Kreuz. (Philipperbrief 2,8)
Er wird ultimativ erniedrigt und stirbt am Kreuz.
Gott, der Sohn, ist der Sündenretter.
Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten. Unter ihnen bin ich selbst der schlimmste. (1.Timotheusbrief 1,15)
Er rettet Menschen aus dem Schwarzen Loch, in dem wir ohne Gott feststecken. Wir kommen selbst nicht raus. Deswegen springt Gott in den schwarzen Rachen der tödlichen Schlange, er stirbt und steht vom Tod auf. So besiegt er den Tod und den Giftstachel des Todes: Die Rebellion gegen Gott, die Selbstsucht, den Stolz.
So wird er der Sündenretter.
Gott, der Sohn, ist der Sklavenbefreier.
Als aber die Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn. Der wurde als Mensch geboren und dem Gesetz unterstellt, um alle zu befreien, die unter der Herrschaft des Gesetzes standen. Durch ihn wollte Gott uns als seine mündigen Söhne und Töchter annehmen. (Galaterbrief 4,4-5)
Er ist in unser Gefängnis aus unerfüllbaren Gesetzen und Schuld gekommen. Er hat uns rausgeholt und adoptiert.
So besiegt er den Teufel.
Wilde Weihnachten II – die Fortsetzung
Die Frau aber flüchtete in die Wüste; dort hatte Gott ihr einen Zufluchtsort geschaffen… (Offenbarung 12,6)
Die wilden Weihnachten sind nicht vorbei. Der Drache hasst die Frau. Sie flieht vor dem Drachen in Vers 6. Das wird in den Versen 13-17 wieder aufgenommen. Der Drache kämpft nicht nur gegen Engel und Gott, sondern auch gegen das Volk Gottes.
„Als der Drache sah, dass er auf die Erde geworfen war, begann er, die Frau zu verfolgen, die den Sohn geboren hatte. … Da wurde der Drache wütend über die Frau und ging fort, um ihre übrigen Nachkommen zu bekämpfen. Das sind die Menschen, die Gottes Gebote befolgen und festhalten an dem, wofür Jesus als Zeuge einsteht.“ (Offenbarung 12,13-17)
Menschen, die Weihnachten feiern, sind nicht gefeit vor Kampf und Leid. Denn Weihnachten ist auch wild.
Die sozialen und politischen Umstände der ersten Weihnachten waren wild. Die christlichen Texte interpretieren es darüber hinaus als eine Invasion Gottes in eine feindliche Welt. Die spirituelle Interpretation sieht Weihnachten als Start für Krieg im Himmel und den geistlichen Kampf im Herzen von Menschen.
Wilde Weihnachten – bei aller Freude, aller Heimeligkeit, aller Romantik bleibt Weihnachten wild. Ein armes Kind wird geboren, verfolgt, vertrieben. Die frühe christliche Interpretation sieht darin den König, der den Drachen besiegt.