Evolutionismus

Evolutionismus, ultimative Realität und Richard Dawkins

Kräne, Wachstum, Evolution

Bild: Tye Doring auf Unsplash.com

Was ist die ultimative Realität? Worauf gründet sich letztlich alles, woher kommt alles? Evolutionismus ist eine grundlegende Möglichkeit, das zu beantworten. Ein gutes Beispiel dafür bieten uns die Überzeugungen von Richard Dawkins, dem Bestsellerautor und Biologen (MEHR DAZU FOLGT). Fairerweise gibt er zu, dass dieses Weltbild Lücken hat. Allerdings gibt es noch mehr Fragen und Probleme mit diesem lückenhaften Weltbild (MEHR DAZU FOLGT).

Ist die ultimative Realität transzendent und persönlich?

Wenn wir uns fragen, ob die ultimative Realität transzendent und persönlich ist, gibt es vier konkrete Möglichkeiten (und einige, die vielleicht nicht so ganz sauber reinpassen.)

Wie ist die Ultimative Realität? Transzendent Nicht transzendent
Persönlich Theismus Polytheismus
Unpersönlich Monismus (Deismus? Islam?) Materialismus (Panentheismus, Panpsychismus)

Polytheistische Gottesvorstellungen kennen oft eine Theogonie – eine Entstehungsgeschichte der Götter. Dabei zeigt sich, dass die polytheistischen Götter innerhalb der Welt entstanden sind, sie sind also nicht transzendent.

Monismus und Materialismus führen die Realität jeweils auf eine unpersönliche Realität zurück: entweder transzendenten Geist oder immanente Materie.

Die vier großen Möglichkeiten lassen sich weiter unterscheiden durch die eine Frage:

Gibt es einen transzendenten persönlichen Gott, der die Welt geschaffen hat?

  • Ja: Da bleibt mehr oder minder die Weltanschauung von Judentum und Christentum übrig (wenn man die islamische Gottheit nicht mit dem christlich geprägten Personenbegriff belegen möchte).
  • Nein: Dabei kommen Monismus (Pantheismus), Materialismus und Polytheismus raus.

Selbstexistenz ist hier immer notwendig. In beiden Fällen ist die ultimative Realität aus sich selbst heraus existent. Irgendwo muss es einen Anfang geben, der nicht weiter auf etwas anderes reduzierbar oder zurückführbar ist.

Aber wie wurde aus der ultimativen Realität die heutige Realität?

Wie ist alles so geworden, wie es ist?

Theismus: In diesem einen Fall gibt es einen persönlichen, transzendenten Gott. Der Gott der Bibel existiert notwendig und unverursacht aus sich selbst und entscheidet sich bewusst dafür, alles andere zu erschaffen. Die Schöpfung ist aber von Gott unterschieden, Gott ist nicht die Schöpfung.

Evolutionismus: In allen anderen Fällen gibt es keine „Top-Down“-Möglichkeit. Alles muss sich selbst erzeugt haben. Und zwar muss es irgendwie klein angefangen haben – von selbst.

Kräne, Wachstum, Evolution

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„Himmelshaken – dazu gehören alle Götter – sind Zaubersprüche. Sie leisten keine echte Erklärungsarbeit und fordern mehr Erklärungen, als sie liefern. Kräne sind Erklärungsmittel, die tatsächlich erklären. Die natürliche Selektion ist der Meisterkran aller Zeiten.“ (Richard Dawkins, God Delusion, 99, eig.ÜS.)

Wenn es keinen transzendenten Gott gibt, kann es keine Top-Down Lösung („Himmelshaken“) geben. Es muss alles klein anfangen und sich selbst aufbauen („Kran“).

Die Philosophie dahinter nenne ich „Evolutionismus“.

Mit Evolutionismus ist nicht die Darwin’sche Evolutionsbiologie gemeint, sondern die Philosophie, die (nicht notwendigerweise, aber manchmal doch) hinter ihr steht.

Evolutionismus ≠ Evolutionsbiologie

Evolutionismus Evolutionsbiologie
Uralt (Antike) 1859 (Darwins „Entstehung der Arten“) (Es gab auch wissenschaftliche Vorläufer.)
Allumfassende Welterklärung (Metaphysik, Physik, Biologie, Bewusstsein, Ethik, …) Biologische Mechanismen und Phänomene
Entwicklung, Fortschritt Veränderung
Philosophie Naturwissenschaft
Weltbild Vereinbar mit verschiedenen Weltbildern

Die Philosophie des Evolutionismus gab es schon lange vor der Naturwissenschaft. Sie sie ist allumfassend. Sie erklärt das ganze Weltall und alles, was es gibt, sie ist ein Weltbild. Gewöhnlich geht es auch um Fortschritt, nicht nur um Veränderung.

Die Evolutionsbiologie ist eine Naturwissenschaft.

Sie ging „so richtig“ mit der Entstehung der Arten“ von Charles Darwin 1859 los. Sie beschreibt einen Mechanismus, das heißt, dass sie nichts über Handlungen, Absichten, Personen sagt, die eventuell hinter diesem Mechanismus stehen. Sie ist kein Weltbild, sie erklärt nicht den Kosmos und alles, was es gibt – sie beschränkt sich auf biologische Phänomene. Daher ist sie mit vielen Weltbildern vereinbar. Das gilt generell für Naturwissenschaft, auch wenn der Theismus die Grundlagen dafür eher bereitstellt.

Darwin Evolution Entstehung der Arten

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Evolutionismus als Philosophie ist schon sehr alt.

Schon in der Antike finden wir evolutionistische Ideen bei Lukrez, Demokrit, Epikur und Anaximander.

„Der Mensch sei aus einem anderen Lebewesen, d.h. einem Fisch, entstanden und diesem anfänglich ähnlich gewesen.“ (Anaximander, DK 28, Jaap Mansfeld, Die Vorsokratiker I, Reclam Stuttgart 1983, 81)

Aristoteles diskutiert eine Vorstellung von Selektion, die er aber wieder verwirft:

„Wo nun alles sich traf, wie wenn es zu einem Zwecke entstanden wäre, da ward gerettet, was von ungefähr sich so passend zusammengefunden hat; was sich aber nicht so traf, das ging unter, und geht unter, wie Empedokles sagt von dem Kuhgeschlecht mit Menschenantlitz.  … Es kann sich aber dies nicht auf dieses Weise verhalten.“ (Aristoteles Physik. 1, uebersetzt und mit Anmerkungen begleitet von C. H. Weiße, Barth, Leipzig 1829, S. 45)

Höchstwahrscheinlich reicht diese Philosophie bis in die Tiefen der Zeit, zu den Ursprungsmythen zurück.

Entwicklung Evolution Wachstum

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Ein gutes Beispiel dafür ist der altindische Schöpfungs-Hymnus (Nāsadīya Sūkta, Rg-Veda X,129, siehe unten unter „MEHR“). Vor dem Anfang von Sein und Nichtsein gab es das Eine, das sich bewegt und nach „Eigensetz“ atmet, begehrt und sich ausdehnt und ausdifferenziert – wodurch alles entsteht. Selbst die Götter sind daraus entstanden. (Polytheistische Götter sind immer innerhalb der Welt angesiedelt und man kann sagen, wie sie entstanden sind.)

Evolutionismus ist ein verbreitetes Weltbild.

Der Evolutionismus bietet eine denkbare Alternative zum Weltbild der Bibel. Ein klarer Vertreter dieses Weltbildes ist Richard Dawkins. (MEHR DAZU FOLGT) Doch auch dieses Weltbild lässt Fragen offen. (MEHR DAZU FOLGT)

Mehr:

C. S. Lewis, The Funeral of a great Myth, in Christian Reflections, Eerdmans, Grand Rapids, Michigan (1967 ed by Walter Hooper) 1995.

Richard Dawkins, The God Delusion, Black Swan, Taschenbuchausgabe, 2007.

Potter, Ellis, Drei Weltformeln, o.O. (Destinée Medien) 2012.

James W. Sire, The Universe Next Door. A Basic Worldview Catalog, 5. Aufl, IVP, 2009.

Christian Bensel, Welche Grenzen hat die Wissenschaft?, https://www.begruendetglauben.at/category/wahr/wissenschaft-und-glaube/welche-grenzen-hat-die-wissenschaft/

Lothar Lang: Zur Geschichte des Evolutionsgedankens und der Evolutionstheorie, in Edith Gutsche, Peter C. Hägele und Hermann Hafner (Hrsg.): Zur Diskussion um Schöpfung und Evolution. Porta-Studien 6, Akademiker-SMD, 4. überarbeitete Auflage, Marburg 1998.

Antike Philosophen und Evolutionismus (einige Texte)

Überblick

„Griechische Philosophen und Naturforscher machten Andeutungen, die als erstes Aufdämmern einer Evolutionsvorstellung erscheinen. ANAXIMANDER VON MILET (610–547 v. Chr.) meinte, „die Tiere sind aus dem Feuchten, das unter der Einwirkung der Sonne verdunstet, hervorgegangen […] Die Ahnen des Menschen sind aus Fischen entstanden und vom Meer auf das Land gestiegen.“ EMPEDOKLES VON AGRIGENT (492–430 v. Chr.) nahm an, die Erde habe einzelne Organe, Köpfe, Arme und Beine in ihrem Inneren gezeugt, die sich dann – von einer Anziehung belebt – einander näherten und zu gelungenen oder mißlungenen Körpern verschmolzen. Schließlich blieben nur die gelungenen Körper bestehen. Nach der atomistischen Vorstellung DEMOKRITS (460–370 v. Chr.) entstanden alle Lebewesen – auch der Mensch – aus Atomen, die sich zufällig im leeren Raum bewegten und zusammenfanden.“ (Lothar Lang, 14)

Empedokles

„Denn aus diesen [Elementen] entsproßt alles, was da war, ist und sein wird, Bäume und Männer und Weiber und Tiere, Vögel und wassergenährte Fische und selbst Götter, langlebige, an Ehren reichste. … Denn alle diese [Elemente], Sonne, Erde, Himmel und Meer, bleiben freundschaftlich verbunden mit ihren Teilen, die weitverschlagen ihnen in der sterblichen Welt entstanden sind. Und ebenso ist alles, was in bezug auf die Mischung fördersamer eingerichtet ist, einander ähnlich und in Liebe verbunden. Feindlich dagegen ist am meisten, was am weitesten voneinander absteht in Ursprung, Mischung und ausgeprägten Gestalten, gänzlich ungewohnt der Verbindung und gar kläglich nach dem Gebot des Streites, dem sie ihren Ursprung verdanken. … Aus diesen Mischungen nun ergossen sich unzählige Scharen sterblicher Geschöpfe, in mannigfaltige Formen gefügt, ein Wunder zu schauen. (Empedokles, Über die Natur, 21+22 +35) (Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch von Hermann Diels. 1. Band, Berlin 41922, S. 223-264. Eingesehen bei http://www.zeno.org/nid/20009162577)

Lukrez

„Dreihundert Jahre später [i.e. nach Aristoteles] griff LUKREZ (95–53 v. Chr.), beeinflußt von EPIKUR, den Selektionsgedanken wieder auf: Lebewesen seien Söhne des Zufalls, nur jene, die zufällig harmonisch gestaltet wären, überlebten, und alle Lebewesen kämpften miteinander, um zu überleben.“ (Lang, 15)

Nāsadīya Sūkta / Schöpfungshymnus (Rg-Veda X,129): Der Ursprung der Dinge

Dieser uralte indische Hymnus zeigt, wie ohne einen persönlichen transzendenten Gott notwendigerweise die Philosophie des Evolutionismus folgt (und eine sehr tiefe Unsicherheit bezüglich wahren Wissens), denn die Überschrift könnte auch lauten: Wer weiß?

Násad āsīn nó sád āsīt tadánīṃ násīd rájo nó vyòmā paró yát
kím âvarīaḥ kúha kásya śarmann ámbhaḥ kím āsīd gáhanaṃ gabhīrám (1)

  1. Weder Nichtsein noch Sein war damals; nicht war der Luftraum noch der Himmel darüber./ Was strich hin und her? Wo? In wessen Obhut? Was war das unergründliche tiefe Wasser? (Was bewegte sich (hin und her), in wessen Obhut, Wasser, was war die unergründliche Tiefe?)

(Das Gedicht beginnt, als nichts existierte, weder die Existenz, noch Raum oder Himmel. Interessanterweise war doch etwas da: eine Bewegung. Frage: Was hat sich da bewegt? Und worin? Antwort: Wasser, Tiefen)

ná mṛityúr āsīd amṛítaṃ ná tárhi ná râtryā áhna āsīt praketáḥ
ânīd avātáṃ svadháyā tád ékaṃ tásmād dhānyán ná paráḥ kiṃ canâsa (2)

  1. Weder Tod noch Unsterblichkeit war damals; nicht gab es ein Anzeichen von Tag und Nacht. / Es atmete nach seinem Eigengesetz ohne Windzug (oder: ohne Aufhören) dieses Eine. Irgendein Anderes als dieses war weiter (oder darüberhinaus) nicht vorhanden.

 (Nichts war bisher erschienen, daher gab es kein Zeichen von Tag und Nacht. Es gab weder Leben noch Tod, auch diese Kategorie existierte nicht. Aber etwas war da, das einzige: Das Eine. Das also hat sich in V.1 bewegt. Über das Eine wissen wir noch mehr: Es atmet ohne Wind, und von selbst (=Evolutionismus).

táma āsīt támasā gūḷhám ágre ’praketáṃ saliláṃ sárvam ā idám
tuchyénābhv ápihitaṃ yád âsīt tápasas tán mahinájāyataíkam (3)

  1. Im Anfang war Finsternis in Finsternis versteckt; all dieses war unkenntliche Flut. Das Lebenskräftige (oder: Lebensbegierige), das von der Leere eingeschlossen war (oder: das Leere), das Eine wurde durch die Macht seines heißen Dranges (oder: der Hitze) geboren.

(Um den Anfang zu beschreiben, werden Ausdrücke verwendet, die zeigen, dass es keine Möglichkeit der Unterscheidung bzw. Wahrnehmung des Einen gibt: Es ist eine Dunkelheit, die in Dunkelheit verborgen ist und ein Meer, in dem Du nichts unterscheiden und wahrnehmen kannst. Das Eine war zugleich leer und heiß darauf, zu sein. Durch die Macht der Hitze der Züchtigung gebar es sich selbst. Eine andere Schöpfungsgeschichte erklärt: Die Welt bestand am Anfang aus Wasser, die Wasser sehnten sich nach Vermehrung (Fortpflanzung), züchtigten sich selbst und erhitzten sich so. Als sie warm wurden (die Hitze von V.3) zeugten sie ein goldenes Ei. Aus dem Ei kam Prajāpati (= „Herr der Geschöpfe“), der später durch sein Wort die Erde, die Luft, den Himmel, den Himmel schuf. Bevor er starb, setzte er in sich selbst den Samen aus dem andere Menschen kamen. Beachte, wie oft „Selbst-Erschaffung“ hier eine Rolle spielt.)

kâmas tád ágre sám avartatâdhi mánaso rétaḥ prathamáṃ yád âsīt
sató bándhum ásati nír avindan hṛidí prathîṣyā kaváyo manīṣâ (4)

  1. Über dieses kam am Anfang das Liebesverlangen, was des Denkens erster Same war. Im Herzen forschend machten die Weisen durch Nachdenken das Band des Seins im Nichtsein ausfindig. (Das Band des Seins im Nichtsein fanden sie in ihrem Herzen, die Weisen, als sie mit Weisheit suchten)

(Hier treffen wir ein weiteres wichtiges Konzept: Verlangen. Aus ihm entsteht Denken. All das wurde übrigens von den Weisen entdeckt. Wo? In ihrem Herzen, ihrem innersten Selbst. Beachte, dass  Sein mit Nicht-Sein verbunden ist, aus dem es kam.)

tiraścîno vítato raśmír eṣām adháḥ āsîd upári svid āsīt
retodhâ āsan mahimâna āsan svdhâ avástāt práyatiḥ parástāt (5)

  1. Quer hindurch ward ihre Richtschnur (oder: dieses Band) gespannt, Gab es denn ein Unten, gab es denn ein Oben? / Es waren Besamer, es waren Ausdehnungskräfte (oder: Kräftige) da. Unterhalb war der Trieb, oberhalb die Gewährung.

kó addhâ veda ká ihá ’prá vocat kúta âjātā kúta iyáṃ vísṛiṣṭiḥ
arvâg devâ asyá visárjanenâthā kó veda yáta ābabhûva (6)

  1. Wer weiß es gewiß, wer kann es hier verkünden, woher sie entstanden, woher diese Schöpfung kam? / Die Götter kamen erst nachher durch die Schöpfung dieser Welt (Oder: Die Götter sind ihr nahe durch Emanation). Wer weiß es dann, woraus sie sich entwickelt hat?

(Die Götter sind immanent, nicht transzendent. Sie sind eng mit der Schöfung verbunden aber können nicht wissen, woher diese Schöpfung/Emanation kam.)

iyáṃ vísṛiṣṭir yáta ābabhûva yádi vā dadhé yádi vā ná
yó asyâdhyakṣaḥ paramé vyòman só añgá veda yádi vā ná véda (7)

  1. Woraus diese Schöpfung sich entwickelt hat, ob er sie gemacht hat oder nicht – der der Aufseher dieser Welt im höchsten Himmel ist, der allein weiß es, es sei denn, daß auch er es nicht weiß.  (Oder: Der Aufseher ist im höchsten Himmel, er weiß es gerade so. Aber wenn er es nicht weiß?)

(Aus was besteht die Schöpfung? Es gibt hier keine creatio ex nihilo. Plötzlich wird die Möglichkeit eines Schöpfers angedacht, aber sogar er könnte wohl kein sicheres Wissen haben. Wir bleiben ohne Antworten. Wer weiß? Niemand kann wissen, daher weiß auch niemand!)

(Die Deutsche Übersetzung folgt Thomas Barth,  http://www.sanskritweb.net/rigveda/rigveda.pdf, alternative Übersetzungen folgen den Notizen aus Vorlesungen und Seminaren aus dem Vedischunterricht.)